Ilma Rakusa: Wie wäre es nachzudenken
Wie wäre es nachzudenken
über die großen Linien und Zusammenhänge
ohne Kleinmut Kleinkram
menschheitsgeschichtlich mythisch
mit Blick hinauf zu den Sternen
deren ewiges Schweigen ängstigt
doch das Epische will mir nicht in den Mund
nicht Persephone Orpheus Eurydike die Pleiaden
zu fern zu groß zu gleichnishaft-unverzagt
wer bin ich sie herzuholen in meine Tage
dieses Digital-Dickicht mit Corona-Plage
Mutantengärten und Fake-News-Sagen
Vergleiche haben ausgedient
da sieh den Käfer auf der Scheibe
so klein so flink wo will er hin
wo will ich hin mit meinen Fragen
draußen geht kein Wind die Büsche reglos
ihre Schatten fein schraffiert um vier
gleich geht die Sonne unter
ein Spiegel ist der See im Abendrot
ich brauche keine Flügel ihn zu sehen
ich brauche nichts er schimmert ohne mich
er dunkelt still und alle Welt geht
ihre Wege: das Pferd das Kind die Heere
von Migranten Land auf Meer ab
die Sterne schauen zu es ist ihr Recht
und wir? ich weiß nicht mehr wo Friede ist
und wo Gefecht wo Schmerz wo Linderung
die Nieren sie tun weh
o Seele sprich ein Wort
26. Dezember 2020