Ich überlasse der Zukunft die Geschichte Apollinaires.
(XLI)

Im Januar 1901

finden wir Apollinaire noch in der Redaktion der Bourse Parisienne. Der Besitzer der Zeitschrift Mauser zahlt ihm unter verschiedenen Vorwänden sein kleines Gehalt nicht aus. Apollinaire verläßt die Redaktion. Er bleibt ohne jedwede finanziellen Mittel und beginnt um des Verdienstes willen erotische Romane für die Buchhändler der rue Saint-Roch zu schreiben, was ihm allerdings im späteren Leben in gewissen Situationen zum Schaden gereicht. Eine Folgeerscheinung ist auch, daß er zum »pornographischen Schriftsteller« deklassiert wird. So entsteht das Buch Mirely ou le petit trou, pas trop cher (Mirely oder das kleine nicht allzu teure Loch). Eine andere derartige Arbeit ist der Roman La gloire d’Olive (Olives Glanzzeit), der nicht erhalten blieb, weil Apollinaire das Manuskript im Zug auf der Fahrt nach Vésinet liegen ließ.

Der bescheidene Verdienst, den ihm diese nicht eben beliebte, aber »gelesene« Literatur einträgt, genügt bei weitem nicht für die Bestreitung seines Lebensunterhaltes. Deshalb bemüht er sich im Januar und den Vorfrühlingsmonaten, eine Beamtenstelle zu finden. Er wohnt noch immer bei der Mutter, die ihn terrorisiert, in Nr. 13 rue de Naples. Aber Guillaume ist ihr in heißer Sohnesliebe ergeben.

Er schreibt darüber viele Jahre später an Madeleine Pagès in einem seiner Briefe von der Front, daß er und seine Mutter einander sehr liebten, erklärt und entschuldigt einige ihrer Charakterzüge, die einem Nicht-Slawen schwer verständlich seien. Er beklagt sich, daß seine Mutter keine Beziehung zur Literatur habe, besonders nicht zu solcher, wie er selbst sie schreibe, und er fährt fort, er könne nur weit von ihr entfernt leben, denn sie behandle ihn wie einen neunjährigen Knaben; das ginge soweit, daß sie ihn ohrfeigen könnte, was er ohne Widerstand ertrüge, denn um nichts in der Welt könne er sich ihr gegenüber verletzend benehmen. Er behauptet, seine Mutter sei, ohne es zu wissen, dichterisch so begabt wie er, ja vieles, was er geschrieben habe, stamme eigentlich von ihr, seien gelegentlich von ihr geäußerte Gedanken. – Dieses Dokument der Sohnesliebe ist zwar ein rückläufiger Beweis, aber mit einundzwanzig Jahren, als seine Mutter ihm noch immer kein erträgliches Heim schaffen konnte, hat er sicher so gefühlt. Darum besucht er gern die Familie Molina. Seine Liebe zu Linda dauert in unverminderter Stärke an und äußert sich in seiner Korrespondenz und seinem dichterischen Schaffen.

 

Vladimír Diviš: Apollinaire. Chronik eines Dichterlebens. Deutsch von Aleš Krejča, Artia, 1966