Ich überlasse der Zukunft die Geschichte Apollinaires.
(LIII)

Noch vor seiner Abreise nach Deutschland hat er mehrere seiner Gedichte und Erzählungen an verschiedene Pariser Zeitschriften gesandt, und

am 15. September 1901

druckt sein ehemaliger Mitschüler von Cannes – Jean Sève – in der 19. Nummer der Grande France drei Wilhelm Kostrowitzki unterzeichnete Gedichte ab: »Lunaire« (Mondviole), »Epousailles« (Vermählung) und »Ville et cœur« (Stadt und Herz). Die beiden ersteren nimmt der Autor später in die Sammlung Alcools auf, das dritte, »Ville et cœur« in die Sammlung Il-y-a (Allerlei).

Es ist ein historischer Akt: In die Dichtung – und nicht nur die französische, sondern in die Weltliteratur – ist dieser »Apostel der modernen Dichtung«, der bisher noch unbekannte Wilhelm Kostrowitzki, der künftige berühmte Guillaume Apollinaire eingetreten. Eigenartig mutet die Verdeutschung seines Taufnamens an. Vielleicht hängt sie mit einem Gefühl des Entwurzeltseins zusammen, des Menschen ohne Vaterland, ohne Muttersprache, die weder die polnische noch die italienische ist. Zu seiner Dichtersprache erwählt er seine Adoptivsprache, die französische, und destilliert aus ihrer musikalischen Schönheit, spielerischen Elastizität und Logik, ihrem lexikalen Reichtum die größtmögliche Wirkung.

Nach Honnef kommt also nicht nur ein von unerwiderter Liebe enttäuschter junger Mann, auch kein bloßer Hauslehrer oder Sekretär der Gräfin, sondern ein eben erstandener Dichter, dessen Inspiration die neue Umwelt gewaltig anregte. Den Beweis dafür liefert die spätere Aussage Annie Playdens, die L.C. Breunig im April 1952 im Mercure de France veröffentlicht. Danach deckt sich das poetische Landschaftsbild des Gedichtes »Le vent nocturne“ (Nachtwind) mit der Aussicht von Apollinaires Fenster in Neu-Glück, von der einen Seite Wald, von der andern ein Dorf, der »nahe Fluß mit seiner starken triumphalen Stimme« nur etwa fünfzehn Kilometer entfernt.

 

Vladimír Diviš: Apollinaire. Chronik eines Dichterlebens. Deutsch von Aleš Krejča, Artia, 1966