H. D. (Hilda Doolittle): Das Ende der Qual – 8. März

 

Jetzt wird das niemand verstehen. Sie kommen aus ihren Löchern. »Aber Sie müssen über ihn schreiben.« Aber was ich schreibe, gefällt ihnen nicht. Erich [Heydt]1 nennt sie Ameisen, ich bin nicht ganz sicher, aber natürlich steht ants in meinem kleinen Wörterbuch. Erich sagt, er möchte, daß die ants oder Ameisen einen Kommentar zu den Cantos schreiben. Eine Auswahl davon ist in einer neuen deutsch-englischen Ausgabe2 erschienen, die er in Zürich bekommen hat. »Wollen Sie es?« sagte er und reichte mir das Buch. Das Gesicht sah mich aus der dunklen Spiegelung des Buchdeckels an. Ich mochte, wie er sich anfühlte. Das Gesicht, frontal, bronzefarben vor dem schwarzen Hintergrund, sah mich an, eine Spiegelung in einem metallenen Spiegel. »Nein«, sagte ich und gab ihm das Buch zurück. »Aber da steht etwas über Sie«, sagte Erich, »hier; Eva Hesse sagt, daß er den Begriff ›imagistisch‹3 erfand, um die Verse der jungen Dichter – Dichterin – hier – Sie – zu erklären.« Aber ich nahm das Buch nicht. »Ich habe das schon einmal irgendwo gelesen«, sagte ich. Ist das gar nicht neu, sondern ein Nachdruck des Buches, das ich vor vielleicht drei Jahren bekam? Ich hatte viele Bücher und Stapel von Papieren und Broschüren, aber die meisten schickte ich zurück nach Vevey, wo sie mit meinen anderen Büchern im Haus einer Freundin gelagert wurden. Ich las die Cantos oder las an ihnen oder in ihnen. Norman Pearson bat mich immer wieder, Anspielungen zu erklären. Ich gab das alles auf. Dann las ich einen Artikel, Weekend with Ezra Pound,4 und alles kam wieder. Ich bat Joan [Waluga],5 mir die neue Ausgabe des alten Buches in Zürich zu besorgen.
In diesem Weekend von David Rattray in The Nation vom 16. November 1957 ist das Porträt von Wyndham Lewis6 aus der Tate Gallery abgebildet. Wyndham Lewis kam immer in unsere kleine Wohnung in Kensington, um Richard Aldingtons7 Rasierapparat auszuleihen. Das ärgerte Richard. Ezra und Dorothy8 hatten eine etwas größere Wohnung auf der anderen Seite des schmalen Innenhofs. Eines Tages, als sie noch nicht verheiratet waren, fand ich die Tür offen, und Ezra war da. »Was – was machst du?« fragte ich. Er sagte, er suche einen Ort, wo er mit Yeats9 fechten könne. Ich war ziemlich fassungslos, als sie wirklich einzogen. Es war so nahe. Aber bald darauf zogen wir nach Hampstead in eine größere Wohnung, die ein Freund für uns gefunden hatte.
Dann sahen wir nicht mehr viel von Ezra und der Kensington-Gruppe, Olivia Shakespear (Dorothys Mutter),10 Violet Hunt,11 Ford Madox Hueffer (wie er damals hieß)12 und den übrigen. Der Krieg von 1914 hatte begonnen. Richard und ich heirateten im Oktober 1913 nach unseren, wie Ezra es nannte, »inoffiziellen Flitterwochen in Italien«. Ich sah Ezra in jenem Jahr in Venedig auf dem Rückweg von Capri-Neapel.
Er mußte mir eine Kirche zeigen. Wir eilten durch Gäßchen oder calli, über Brücken, durch enge Durchgänge, das Labyrinth. Es war »ein Spüren13 / nach des Labyrinthes Plan« aus dem Gedicht von Ramon Guthrie. Es war sehr heiß – Mai, glaube ich. Die Kirche war kühl und hatte einen Balkon mit eisigen Nixen, Santa Maria dei Miracoli. Jahre später war ich noch einmal dort, und in den Jahren des Zweiten Weltkriegs in London hatte ich immer das Votivbild der Santa Maria, das der Küster mir geschenkt hatte, und ein anderes Heiligenbild (St. Markus) in meiner Handtasche. Ezra war in Rapallo, wie wir wissen.
Als ich nach dem Krieg, im Mai 1946, hierher nach Küsnacht kam, räumte ich den schmuddeligen Inhalt aus meiner Handtasche. Warum zerriß ich die Bilder? Sie waren eben abgenutzt und alt wie ich, und ich mußte neue Talismane finden. Ich fand sie in meinem Schreiben. Ich schrieb fieberhaft, aber der wirkliche Inhalt meiner Ezra-Geschichte wurde nicht berührt, nur leicht gestreift. Mr. Morley, einer der Gäste hier, fragte mich, ob ich Gaudier-Brzeska14 kenne – oder er sagte, einen polnischen Bildhauer in London, der im Ersten Weltkrieg gefallen sei. Wie kam es überhaupt, daß wir miteinander sprachen? An den Tagen, an denen Dr. Heydt nicht kommt, trinke ich unten im Speisesaal Kaffee. Ich hatte Ezra nie erwähnt, außer gegenüber Heydt und Joan – nun geht plötzlich eine Tür auf. Mr. Morley wußte von ihm.
Mr. Morley ist ein hochgewachsener, depressiver amerikanischer abstrakter Künstler mit einer angenehmen Stimme. Er sprach über Joyce, Yeats, Eliot. Diese ganze Welt, diese Leute kommen mir zu Bewußtsein. Heute bringt er mir ein Bild. »Sie müssen es behalten«, sagte er. Es ist ein blaues Tier, ein Löwe, der hinter symbolischen Gitterstäben trottet, die Bäume sein könnten. Es ist Der Dichter im eisernen Käfig.15 Die Zeichnung ist faszinierend. Joan sagte, sie würde mir das Bild aufhängen, und kam hoch, um einen Platz dafür zu suchen. Ich bin anonym hier oder versuche, es zu sein. Aber über Ezra zu sprechen und an ihn zu denken, schafft menschliche, Menschlichkeit schaffende Bande. Aber das geschah erst kürzlich; ich meine, diese einfache, natürliche Annäherung ist mir möglich, seit ich wieder und wieder das Weekend lese.