H. D. (Hilda Doolittle): Das Ende der Qual – 15. März

 

»Was empfanden Sie, als dieser – dieser Walter Ihnen das erzählte?« »Sehen Sie – ich kann es unmöglich sagen. Es war trostlos, ein Abgrund tat sich auf –.« »Aber Sie sagten, Sie hätten dieses amerikanische Mädchen geliebt, diese Frances – und Sie waren mit Richard zusammen –.« »Ich weiß nicht, was ich empfand. Ich hatte Walter vor Jahren in Amerika kennengelernt, im Sommerhaus der Pounds. Ezra war aus Europa zurückgekehrt. Er lud Frances und mich in dieses Haus ein, damit wir Walter spielen hörten. Ezra hatte einen Flügel aus Philadelphia kommen lassen. »Ach«, sagte Ezra, »sie sagten ›Walter Rummel‹, und alles ging wie von selbst.« »Ein Konzertpianist?« »Ja.« »Ein Amerikaner?« »Sein Großvater war der Morsealphabet-Morse. Er hieß Walter Morse Rummel. Sein Vater war Deutscher. Mrs. Shakespear war einmal sehr von ihm angetan. Richard und ich haben ihn in Paris sehr oft gesehen.« »Waren Sie damals verheiratet?« »Nein.«
»Sie meinen, Ezra erzählte den Leuten, daß Sie mit ihm verlobt gewesen waren?« »Ich weiß nicht – Walter sagte jedoch: ›Ich denke, ich sollte es dir sagen, obwohl ich Mrs. Shakespear versprach, es nicht zu tun – sag es ihr nicht und auch sonst niemandem. Aber es gibt eine Abmachung. Ezra soll Dorothy Shakespear heiraten. Er sollte anderen Leuten nicht erzählen oder durchblicken lassen, daß er – daß du –‹.« »Haben Sie mit Ezra darüber gesprochen?« »Nein.«
»Was sagte er genau zu den Leuten?« »Ach – ich weiß nicht…« Sich treiben lassen. Sich treiben lassen. Ihn allein oder mit anderen im Café des Museums treffen. Wir lasen alle im Lesesaal des British Museum. Dunkle Wände und schmutzig aussehende Statuen. Frances war heimgefahren. Ich konnte warten, bis meine Eltern kamen. Mein Vater hatte sich mit 70 von der Universität zurückgezogen. Meine Mutter schrieb: »Wir könnten uns in Genua treffen.« Ich hatte jetzt mein eigenes Geld. Sich treiben lassen? »Aber Dryade«, (im Museumscafé) »das ist Dichtung.« Er strich mit einem Bleistift darin herum. »Laß das weg, kürze diese Zeile. Hermes of the Ways1 ist ein guter Titel. Ich werde das Harriet Monroe2 von Poetry schicken. Hast du eine Abschrift? Ja? Dann können wir das schicken, oder ich tippe es zu Hause ab. Reicht das?« Und er kritzelte H. D. Imagiste unten auf die Seite.
Ich verbarg etwas. Da war die heroische Folge, jene letzten Jahre in London. »Was verbergen Sie?« insistierte Erich Heydt. Ich verbarg mich und Ezra, wie wir vor meinem Vater standen, in flagranti ertappt, in the very act, könnte man sagen. Denn kein »Akt« danach, wiewohl biologisch vollzogen, hatte mehr die Bedeutung der ersten demi-vierge Umarmungen. Die Bedeutung der »ersten Liebe« kann gar nicht überschätzt werden. Wenn die »erste Liebe« ein ungleichartiges Wesen ist, Engel-Teufel – oder Engel-Dämon oder Daimon, Séraphîtus-Séraphîta – was dann? Eine gleichartige Konvention finden, einen Mann-Helden, der das Bild ausgleicht, vervollständigt. Durch welches Wunder wird die mariage du ciel et de la terre, die Hochzeit von Himmel und Erde, vollzogen? Das erfüllte zehn Jahre lang meine Phantasien und Träume, meine Prosa und meine Lyrik. Aber am Ende muß die intellektuelle und körperliche Vollendung, der Lorbeerkranz des gerühmten Werks durch das Nichtvorhersagbare, erst Begonnene gemäßigt, ausgeglichen, neu durchlebt, neu fokussiert oder sogar getragen, von einem Mythos, einer Legende herausgefordert werden – der Dichter (sagen wir einmal Vidal),3 in Wolf oder Panther verwandelt, muß erjagt und gefangen werden.

There is a stir of dust from old leaves
Will you trade roses for acorns…4

Ein Staubflirren von altem Laub
Tauschst du Rosen für Eicheln ein?