H. D. (Hilda Doolittle): Das Ende der Qual – 13. März

 

Für den 15ème Jour lunaire gibt es ein Gebet… ne me rends point confus dans mon espérance1(verwirre mich nicht in meinem Hoffen).
Da ist das erste Buch, das aus Venedig geschickt wurde, A Lume Spento.2 Es ist William Brooke Smith gewidmet. Ezra hatte ihn mir vorgestellt. Er war Kunststudent, groß, anmutig, dunkel, und trug einen »Schmetterlingsbinder«, wie man ihn auf den frühen Yeats-Porträts sieht. Ezra las mir einen Brief von ihm vor; das war unter der Lampe an unserem Wohnzimmertisch. Der Brief war poetisch, überschwenglich; geschrieben, so schien es, mit sorgfältigem Zeilenabstand und sparsamem Rand. Ich sah die Schrift nur flüchtig, Ezra gab mir den Brief nicht. Der Junge war schwindsüchtig. Seine Schwester war gerade gestorben.
Er winkte uns einmal aus der Straßenbahn. Ich fragte mich, was er auf unserem West Chester-turnpike machte. Seine Schwester war anscheinend in der Nähe von West Chester begraben. Es schien weit entfernt von Wyncote. Oder träume ich das?
»Was ist es? Was ist es?« Sie pflegten nie direkt zu antworten. Sie pflegten zu sagen: »Er ist so exzentrisch.« »Was ist es?« »Er ist unmöglich; er sagte zu Professor Schelling, daß Bernard Shaw bedeutender sei als Shakespeare.« »Was ist es?« »Er zieht die Aufmerksamkeit auf sich; er trug grelle, leuchtende Socken, die die älteren Studenten für Erstsemester ausgeschlossen hatten. Die Zweitsemester warfen ihn in den lily pond, den Lilienteich. Sie nannten ihn ›Lily‹ Pound.« »Was ist es?« Er geht jetzt in Kurse für Graduierte; das geschah, wenn es geschah, vor langer Zeit. Warum befassen sich die Damen der Fakultät mit solchen Kleinigkeiten? Was ist es? Er ist jetzt weit genug weg, als Dozent für romanische Sprachen. »Was ist es?« Er kam zurück, er kam zurück, er kam zurück.
Sie forderten ihn auf zu gehen.3 Mein Vater sagte: »Mr. Pound, ich sage nicht, daß diesmal irgend etwas falsch war. Ich will Ihnen nicht das Haus verbieten, aber ich möchte Sie bitten, nicht so oft zu kommen.« »Was ist es?« »Ich fand sie im Schnee, als ich einen Brief zur Post brachte. Sie kam von einer Wanderbühne und war hier gestrandet. Sie wußte nicht, wohin sie gehen sollte. Ich forderte sie auf, mit in mein Zimmer zu kommen. Sie schlief in meinem Bett. Ich schlief auf dem Boden.« »Was ist es? Es ist noch mehr als das. Cousin Edd kennt Leute in Wyncote, die ihm erzählten –.« Aber sie erzählten mir nicht, was sie ihm erzählt hatten. »Was ist es? Cousin Edd kennt Leute in Wyncote –.« »Ach – dasund ich dachte, unser Cousin Edd wäre ein anständiger alter Junge.« Ein Geistlicher, ein Cousin meiner Mutter, hat ihr erzählt – »Was? Was? Was?«
»In Wyncote sagt man, ich sei bisexuell und würde mich widernatürlichen Lüsten hingeben.« Ich verstand nicht, was die Worte bedeuteten. Heutzutage würde jeder erfahrene Teenager darüber lachen. Aber das war – 1906? 1907?
»Du mußt mit mir weggehen, Dryade.« »Wie denn? Wie denn?« Sein Vater würde genug zusammenkratzen, damit er davon leben könnte. Ich hatte nichts. »Jedenfalls sagt man«, vertraute mir eine alte Schulfreundin an, als wollte sie mich aufmuntern, »daß er sowieso mit Mary Moore4 verlobt ist. Bessie Elliot hätte ihn mühelos haben können. Vorher gab es Louise Skidmore.« Was ist es? Was ist es? Die Verlobung, wie sie nun einmal war, zerbrach wie ein zu Boden geschleuderter venezianischer Glaspokal.
Erich sagte heute nachmittag, als ich ihm diesen letzten Abschnitt vorlas: »Aber Sie haben nicht gesagt, daß Sie wirklich verlobt waren.« »Es ist implizit enthalten. Ich habe Ihnen nicht alle Seiten vorgelesen. Ich las den Abschnitt über Frances, die eine Lücke in meinem Leben füllte, nachdem die Verlobung ›gelöst‹ worden war. Hätte sie denn, diese – die historische Miss unserer Geschichte – weiter diese leidenschaftlichen Küsse geduldet, von denen ich am Anfang spreche, wenn es nicht – nicht zumindest eine Abmachung gegeben hätte?« »Sie sagten nicht, daß er Ihnen einen Ring gegeben hat.
Hat er Ihnen einen Ring gegeben?« »Natürlich – wie deutsch Sie sind –.« »Es wurde bekanntgegeben, jeder wußte es?« »Ach, wie Sie auf die unwichtigen Details kommen. Ja, nein. Ich meine, es war abgemacht, aber meine Eltern waren unglücklich darüber, und ich war scheu und ängstlich. Es gab nicht die herkömmliche Party – ein Essen oder einen Ball, wenn Sie das meinen. Aber was bedeutet das schon?«
»Kamen seine Eltern zu Ihnen?« »Natürlich.« »Waren sie erfreut?« »Sehr – meine nicht, wie gesagt. Mrs. Pound schenkte mir einen exquisiten Perlenanhänger.« »Dann waren Sie verlobt. Haben Sie den Ring zurückgegeben?« »Natürlich.« »Hat er Ihnen geschrieben, als er nach Venedig ging?« »Ja-ja-ja-ja-ja-.«