H. D. (Hilda Doolittle): Das Ende der Qual – 12. März

 

Es gibt ein Gebet: 10ème Jour lunaire.1 Es endet mit den Worten: Que mon cœur soit sincère en Tes statuts, afin que je ne sois pas větu de confusion. Mein Herz sei aufrichtig in deinen Gesetzen, auf daß ich nicht in Verwirrung gehüllt sei.
Ich war in Verwirrung gehüllt. Ich war auf ein falsches Gleis gedrängt worden. Ist jedes Gleis falsch? Ich ärgerte mich über die Jahre, in denen ich mich aufs College vorbereitete und die mit Musik, mit Zeichnen hätten verbracht werden können. Lyrik? Ich hatte genug Lyrik gelesen. »Du bist ein Gedicht, wenn dein Gedicht auch nichtig ist«, zitierte Ezra. Woraus? Ich fragte ihn nicht. Wir waren auf den großen Ahornbaum in unserem Garten außerhalb von Philadelphia geklettert.
Da gab es ein »Krähennest«, das mein jüngerer Bruder gebaut hatte – Bretter zum Sitzen und eine Art Plattform. Das Haus verbirgt sich hinter den großen Ästen. Gelegentlich kommt ein Pferdekarren oder eine Kutsche von der Landstraße oder dem turnpike jenseits der Hecke. In halbstündigen Intervallen rattert eine Straßenbahn oder ein trolley vorbei. Er darf den letzten car und den Zug nach Wyncote auf der Main Line nicht verpassen. »In einer halben Stunde fährt noch eine Bahn«, sage ich und will aus dem »Krähennest« gleiten.
»Nein, Dryade«, sagt er. Er zieht mich zurück. Wir schwanken mit dem Wind. Es geht kein Wind. Wir schwanken mit den Sternen. Sie sind nicht weit. Wir gleiten, rutschen, fliegen hinab durch die Äste, springen zusammen auf den Boden. »Nein«, sage ich und reiße mich aus seinen Armen, »nein«, und weiche vor seinen Küssen zurück. »Ich laufe voraus und halte die Straßenbahn an, nein – schnell, hol deine Sachen – Bücher – was du in der Diele gelassen hast.« »Ich nehme sie das nächste Mal mit«, sagt er. »Lauf«, sage ich, »lauf« Gerade noch erreicht er die Bahn, die gefährlich schwankt und kaum anhält, nur halb anhält. Jetzt muß ich ihnen gegenübertreten im Haus.
»Er war wieder spät dran.« Mein Vater zog seine Uhr auf. Meine Mutter sagte: »Wo warst du? Ich habe gerufen. Hast du mich nicht gehört? Wo ist Ezra Pound?« Ich sagte: »Oh – er ist gegangen.« »Bücher? Hut?« »Er nimmt sie das nächste Mal mit.« Warum war ich nur von diesem Baum geklettert?

»… Profil einer Raubkatze«2Merkur, Januar 1958, ein Artikel von Peter Demetz – »mit dem Racquet durch die Luft schlagend. Ich sah das chinesische Amulett auf seiner Brust – ich sah das brüchige Sonnenschild aus Zelluloid, das mit einem Stück Leukoplast aufs Geratewohl… nachlässig… zusammengeklebt war – draußen, zwischen zwei mächtigen Platanen, stieg eben Mrs. Pound aus dem alten Ford. Ich stellte ein paar Rohrstühle im Halbkreis zusammen… die regungslos wartenden Wahnsinnigen, die starr zu uns herüberblickten. Pound erzählte von seinen Freunden in Paris, und es fing an zu regnen. Pound öffnete die Türen des alten Ford… Bücher, Wäschepakete und Marmeladengläser, die Mrs. Pound mitgebracht hatte. Er interpretierte Pisaner Gesänge – zeichnete Lageplan des Pisaner Straflagers – Trommeln des Regens – zerfetztes Sonnenschild – Erinnerungen eines Capaneus – später, Beschreibung seiner Flucht. Dieser jugendlich Erbittertste unter den grand old men der Literatur – verbarg eine heimliche Demut…«
Vor etwa zwei Jahren erschien Der Dichter im eisernen Käfig. In diesem neuen Artikel des deutschen Merkur werden Pounds Liebe und Haß hervorgehoben.
Ich schrieb diese paar nachlässigen Sätze hin, während Erich mir den Artikel vorlas. Es ist sicher ein ausgezeichneter Aufsatz, wie viele, die ich über Ezra gelesen habe, aber er hinterläßt bei mir ein schreckliches Gefühl der Frustration. Es wird so viel geschrieben und gut geschrieben über den umstrittenen Dichter. Was ist mein Beitrag? Ich hoffe, Erich hat recht, wenn er von meinen eigenen Aufzeichnungen sagt: »Die Einfachheit inmitten der Verwirrung ist wunderbar.«