H. D. (Hilda Doolittle): Das Ende der Qual – 11. März

 

In den frühen Zwanziger Jahren sah ich sie allein in ihrem Haus in St. John’s Wood und dann noch einmal in meiner Wohnung in der Sloane Street. Sie hatte damals eine ziemlich schreckliche Krankenpflegerin bei sich. Bald danach verschwand sie in einer Nervenklinik, so wurde berichtet. Ich sah sie nicht mehr wieder. Nach ihrem Tod, als ich 1947 in Lausanne war, bekam ich eine Nachricht von ihrem Rechtsanwalt. Sie hatte Ezra, Richard und mir je 50 oder 100 Pfund hinterlassen und eine Auswahl von etwa 50 Büchern aus ihrer Bibliothek. Eine lange kopierte Liste war beigefügt. Der Rechtsanwalt, ein Neffe, glaube ich, schrieb, es gäbe mehrere Anwärter auf die Bücher, und gab zu verstehen, daß ich nicht zu viele nehmen sollte. Ich bat um alle Bücher von Ezra, von Richard, meine eigenen, einige von Mays Romanen und eine Shakespeare-Konkordanz.

Wyndham Lewis starb vor ein paar Jahren. Er wurde einige Zeit vor seinem Tod blind.
War ich blind? Erich Heydt, der junge deutsche Oberarzt hier, schien das zu denken. Als ich zum zweitenmal hierherkam, im Sommer 1953, nach einer Operation in Lausanne, stach er eine Injektionsnadel in meinen Arm. Es war vielleicht das zweite oder dritte Mal, daß ich ihn gesehen hatte – oder war es das erste Mal? Er sagte: »Sie kennen Ezra Pound, nicht wahr?« Von einem Fremden geäußert, war das ein Schock. Vielleicht injizierte er mir Ezra oder injizierte ihn mir von neuem. Ich brachte eine vage Bejahung zustande und fragte mich, was das Dr. Heydt anging. Es stellte sich heraus, daß er mit einer Art Forschungsstipendium oder Reisestipendium in Amerika gewesen war. Er hatte mehrere Krankenhäuser und Kliniken besucht unter anderem war er eine Zeitlang im St. Elizabeth’s Hospital.1 Woher wußte er, daß ich Ezra kannte? Er hatte ihn im Garten gesehen, umringt von einer Gruppe von Besuchern, Anhängern. »Ich fragte, wer sie seien. Ich hatte einige von ihnen in der Kantine gesehen.« Ich wollte nicht darüber sprechen. »Warum sehen Sie mich nicht an?« sagte Dr. Heydt. »Warum schauen Sie aus dem Fenster? Ich rede mit Ihnen.«
Ich war zu schwach, um darauf achtzugeben oder zu hören, was er sagte. Aber vielleicht gab ich doch acht.

Heute nachmittag ließ sich Erich Heydt von mir etwas aus diesen Aufzeichnungen vorlesen. Er sagte: »Die Einfachheit inmitten der Verwirrung ist wunderbar.« Pedantisch kritisierte er die Art und Weise, wie ich Eva Hesse wiedergegeben hatte: »Sie sagt, er habe die imagistische Schule gegründet, um Sie ins rechte Licht zu rücken.«
Séraphîta.2Mystische Novelle von Balzac, die 1835 erstmals veröffentlicht wurde. Die Hauptperson ist eine androgyne Gestalt, die abwechslungsweise Séraphîta oder Séraphîtus genannt wird. Ein großer Teil des Buches ist der Erklärung der theosophischen Lehre Swedenborgs gewidmet.[/footnote] Eine Geschichte von Balzac. Das Wesen, er-sie, verschwindet oder stirbt im Schnee. Séraphîtus. Ezra brachte mir die Geschichte.
Die Vollkommenheit des leidenschaftlichen Augenblicks kann nicht andauern – oder doch?