Überlebenskünstler Ezra Pound
Mein Bruder Christian hat ihn einmal aufgesucht. Er stellte sich nicht als Anglistik-Professor vor, obwohl er diesen Beruf 25 Jahre lang ausgeübt hat. Christian fand sich einfach auf der Südtiroler Burg ein, wo Ezra Pound wohnte, klingelte und wurde eingelassen. Der greise Dichter war schwerhörig und müde. Ich weiß nicht genau, was bei dieser Unterhaltung vorfiel. Nur daß Pound auf einmal stockte und einen Satz hervorstieß, den ich mir gemerkt habe. Er sagte:
Es war alles umsonst.
Dann humpelte er aus dem Zimmer, ohne sich zu verabschieden. Ezra Wescon Loomis Pounds Vater war Beamter im amerikanischen Landverwaltungsamt. Das Einzelkind studierte Komparatistik und romanische Literatur. Pound war lange befreundet mit William Carlos Williams, obschon der sich als ungebildeter Provinzler gab, während Pound seine europäischen Kenntnisse zur Schau trug. 1908 zog er nach Venedig und befaßte sich damit, provenzalische Dichter zu übersetzen oder vielmehr nachzudichten. Dann ging er nach London, wo er James Joyce und Ford Madox Ford kennenlernte. Damals wimmelte es von winzigen »Bewegungen« wie den Imagisten und Vortizisten, die sich wiederum an die italienischen Futuristen hielten. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg sind ihm seine besten Gedichte gelungen. Sie finden sich, versteckt unter angeberischen griechischen, provenzalischen und chinesischen Zitaten, in den Bänden Personae und Lustra. Berühmt wurde das Haiku »In einer Station der Metro«:
Das Erscheinen dieser Gesichter in der Menge:
Blütenblätter auf einem nassen, schwarzen Ast.
Schade, daß er von diesem lakonischen, unmittelbar einleuchtenden Tonfall abgelassen hat! 1914 heiratete er Dorothy Shakespear. Mit dem Weltkrieg wollte er nichts zu tun haben. Lieber wurde er Privatsekretär von William Butler Yeats in Irland. Er faßte den Plan zu seinen Cantos, die er für sein Hauptwerk hielt. Die Witwe eines Ostasien-Kenners, der Ernest Fenollosa hieß, suchte damals einen Helfer, der geeignet wäre, den Nachlaß ihres Mannes herauszugeben. Sie fand heraus, daß Pound sich für ostasiatische Lyrik interessierte, und ließ ihn Fenollosas Schrift über das japanische Nō-Theater edieren.
Von 1920 bis 1924 lebte er in Paris. Dort lernte er eine Geigerin kennen, mit der er gemeinsam mit seiner Ehefrau eine Art Kommune zu dritt begründete. Pound erwies sich als erstklassiger Lektor. Er strich die Hälfte von T.S. Eliots Gedicht The Waste Land und machte es zu einem klassischen Werk der modernen Poesie.
1924 ließ er sich in Italien nieder und wurde bald zu einem Anhänger Mussolinis. Während des Zweiten Weltkrieges verbreitete er über den römischen Rundfunk, in der Presse und in den »Cantos 72–73« seine antiamerikanischen, rassistischen und antisemitischen Vorstellungen. »Der Jude«, behauptete er, sei nicht nur schuld am internationalen und amerikanischen Kapitalismus, sondern auch am Krieg.
Nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen wurde er im Mai 1945 festgenommen, vom Geheimdienst verhört und schließlich in der Nähe von Pisa in einem eigens für ihn gebauten Käfig unter freiem Himmel eingesperrt. In dieser Zeit entstanden die Pisaner Cantos, für die ihm 1949 der renommierte Bollingen Prize verliehen wurde.
Ich räume freudig ein, daß ich mich der herrschenden Meinung über Pounds Gesänge nicht anschließen kann. »Keiner der Lebenden kann so schreiben wie er«, sagte T.S. Eliot, und Yeats, Frost, Hemingway und Joyce stimmten ihm zu.
Mein Unbehagen hat nichts mit den sattsam bekannten politischen Gründen zu tun, sondern damit, daß es diesem Werk an jedem Sinn für Prosodie fehlt. Eine beliebig gezogene Probe aus den Pisan Cantos hört sich, in Eva Hesses Übersetzung, so an:
»Hab doch kein Staatsverbrechen nich’ verübt,
Nurn kleines Vergehn«
Sprach Mr. A. Little oder womöglich Mr. Nelson, oder Washington
verwundert über die Schrullen unsrer kommenden Θέμιϛ
Amo ergo sum, und zwar genau in dem Maße
Und Margots Tod wird für das Ende einer Ära stehen
und der gute Walter saß mitten in der Brandschatzung Finlandias
recht viel Polar-Weiß
doch das Gas gesperrt.
Debussy hatte seinen Vortrag lieber
auch das war eine Ära [Mr. W. Rummel]
eine Ära von croissants
darauf eine Ära von pains au lait
und der Eukalyptuszipf fehlt
»Come pan, niño!«
Was will uns der arme, von seinen Obsessionen geplagte Gefangene mit diesen Versen sagen? Wer nicht weiß, wer Margot ist, und von Mr. A. Little und von Mr. W. Rummel nie gehört hat, was soll der mit ihnen anfangen? Wenn er nicht einmal Griechisch und Latein versteht, kommt er als Leser für Ezra Pound nicht in Betracht. Auch ein wenig Spanisch oder Chinesisch könnten bei der Lektüre nicht schaden. Das ist nicht nur extrem unhöflich, sondern man hat es mit dem Bluff eines Menschen zu tun, der an sich und seinen Gaben irre geworden ist.
Als Kritiker war er immer schon selbstherrlich. Den »ein wenig versoffenen oder fallsüchtigen und ungeschlachten Tiefsinn Dostojewskis« konnte er nicht leiden, und über den Autor des Dschungelbuchs fiel sein Urteil herablassend aus:
Um Indien zu beschreiben, verfertigt Kipling minderwertigen Maupassant.
Prousts Recherche hielt er für gehobene Unterhaltungsliteratur und einen Essay seines Schülers Eliot für »pures Apfelmus«.
Mit seinen Cantos wollte er höher hinaus als alle anderen. Er verglich sich mit Dante und seine mehr als 100 Gesänge mit der Göttlichen Komödie.
An seiner Vorliebe für den Faschismus hat er bis zuletzt festgehalten. Schon 1943 war Pound in den USA wegen Hochverrats in Abwesenheit angeklagt worden. Das Verfahren wurde niedergeschlagen, weil ihn ein Psychiater wider besseres Wissen für geisteskrank erklärte. Fast 13 Jahre brachte er in einer staatlichen Heilanstalt in Washington, D. C., zu, behütet von seinem Arzt, der ihm Privilegien verschaffte und ihn abschirmte.
1958 wurde er auf Betreiben seiner Freunde freigelassen. Er zog sich nach Italien zurück, mietete sich in Venedig ein und ließ sich zuletzt bei seiner Tochter Mary de Rachewiltz auf der Brunnenburg oberhalb von Meran nieder. Nicht nur meinem Bruder hat er einen Satz über die Vergeudung seiner Talente anvertraut. Auch anderen Besuchern gegenüber soll er ähnliche Sätze geäußert haben:
Ich habe immer nur Fehler gemacht… Die Worte haben für mich jeden Sinn verloren… Ich döse und staune.
Er starb zwei Tage nach seinem 87. Geburtstag, in Venedig. Sein Grab liegt auf der Friedhofsinsel San Michele.