Weyrauch,
der farbenfrohe (Immerda, Wiesenprophet, Untergangsveilchen) einjährig. Familie der hybriden Satiriazeen. Rauschmittel.
Die Blüten einzeln, langgestielt, so groß wie Eintagsgedichte. Blütenblätter scharlachrot, gelb und blau. Stengel wenig verzweigt, die Blätter unbeschrieben. Nur kurze Wurzel. Häufige Standortveränderung.
Der farbenfrohe Weyrauch bevorzugt als Standort unbewältigte Vergangenheit, aber auch unbewältigte Gegenwart, diese besonders hartnäckig. Die Pflanze liebt die Nähe junger Mädchen, von denen sie Aufschluß über ihre Bedeutung erwartet. Ihre Blüten fast immer in mehreren Farben, selten durchgängig rot. Hermann Kesten schreibt in seinem Büchlein ›Gestern Blüten, heute Früchte‹: »Das Farbenspiel des Weyrauchs stiftet Verwirrung, die durch die höchst einfache Form der Pflanze keineswegs wettgemacht wird.«
Die stecknadelkopfgroßen Samenkörnchen werden in einem Mörser zu Pulver zerstoßen, das mit Wein getrunken, Sinnestäuschungen und Sinnesänderungen hervorruft, die sehr lange andauern können. Man glaubt die ewige Jugend erlangt zu haben und gerät in eine Euphorie absoluter Spannungslosigkeit. Dieter E. Zimmer bemerkt in seinem Buch ›Randblüten‹: »Die Weyrauchsüchtigen nehmen Einbildungen für Einsichten. Sie sind allen Ernstes überzeugt, aus dem Gähnen die Zukunft lesen und die Welt in die Nußschale eines Gedichts bannen zu können. So sieht sie dann auch aus! Auf die Dauer führt die Droge zur krassen Vereinfachung.«
Neuere Forschungen haben ergeben, daß der farbenfrohe Weyrauch die Erde für andere Pflanzen vorbereitet, die wiederum für sein Wachstum sehr wichtig sind. Er wird also stets in Gesellschaft der verschiedensten Pflänzchen angetroffen. Der Volksmund nennt ihn den unentwegten Blütensammler. Zwischen fremden Blüten ist er fast nicht zu erkennen, und nur der erfahrene Pflanzenfreund weiß, was da im Verborgenen blüht.
Fritz Schönborn aus Deutsche Dichterflora, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983