»Ein unsteter Einzimmerbewohner«

»Ein unsteter Einzimmerbewohner«

– In memoriam Wolfgang Bächler. –

Er sah sich ›ein Verlorener?‹ wohl zeitlebens als ein Ausgeschlossener, als eine Existenz »Zwischen den Stühlen«. In einer Prosaskizze unter diesem Titel sind diese Selbsteinschätzungen zu lesen: 

Ich wechselte… oft die Städte und die Länder und die Zeitungen oder die Sender, für die ich schrieb… Ich führte ein schweifendes Leben, schlug meine Zelte häufig auf und ab, ein unsteter Einzimmerbewohner, ein Wanderer zwischen zwei Welten, ein Publizist zwischen zwei Stühlen… ein Deutscher ohne Deutschland, ein Lyriker ohne viel Publikum…

»Aber«, so sein Biograf Wilhelm Große, »da Bächlers Leid kein rein privates ist, sondern immer ein Reflex auf die Leiden der Gesellschaft, vermittelt sich in seiner Lyrik und Prosa, selbst noch in den privatesten niedergeschriebenen Erfahrungen etwas von gesellschaftlicher Erfahrung der Nachkriegszeit.« – »Daß Bächler in die Geschichte der Nachkriegslyrik gehört, ist selbstverständlich«, konstatierte seinerzeit Heinrich Böll, das aber müsse »wohl wiederholt werden«. – Am 24. Mai 2007 ist Wolfgang Bächler in München gestorben.

*

Anläßlich des 75. Geburtstages von Wolfgang Bächler erschien in der Zeitung Die Welt ein »Brief an eine deutsche Akademie, aufgeschrieben von Michael Krüger« (»Mit mir ist kein Staat zu machen« – Die literarische Welt vom 19. Februar 2000), in dem den »Hohen Herren von der Akademie« lückenlos vor Augen geführt wurde, mit welcher (Betriebs-)Blindheit sie bis dahin am Leben und Werk des Dichters Wolfgang Bächler nicht nur achtlos, nein, sträflich ignorant vorbeigegangen waren. 

Im Ton beißender Ironie war da zu lesen:

Ein Blick in Ihre Mitgliederlisten wird Sie rasch darüber belehren, dass Sie es bislang versäumt haben, mich in Ihre geschätzten Institute aufzunehmen. Weder in Berlin, wo ich auch einmal gelebt habe, noch in München, wo ich lebe, genieße ich Gastrecht; weder in Mainz, wo sich viele meiner Freunde und Gefährten halbjährlich zusammenfinden, noch in Darmstadt, wo der Büchner-Preis verliehen wird, legen Sie auf meine Anwesenheit wert. In meinen schwärzesten Stunden denke ich gelegentlich, dass Sie mich nicht nur zufällig vergessen haben, sondern, dass Sie mich vergessen wollen.

*

Schade eigentlich, dass dieser Brief von Wolfgang Bächler nie geschrieben wurde, in dem es hieß: 

Hohe Herren! Mein Name ist Wolfgang Bächler, ich bin Verfasser von zwei kurzen Romanen, eines halben Dutzend Bände mit Gedichten, zweier Sammlungen meiner Träume und einer Sammlung ausgewählter Prosastücke, die teils im Auftrag von Zeitungen und Rundfunkstationen, teils ohne Auftrag entstanden.

Mein erster Gedichtband Zisterne erschien 1950 im Bechtle-Verlag in Esslingen. Er trug eine Einbandzeichnung von Martin Andersch und kostete DM 2,50, Gottfried Benn mochte ihn, Oda Schaefer lobte in der FAZ seine »kühnen Vergleiche und mutigen Aussagen«, Ernst Penzoldt forderte in der Süddeutschen Zeitung dazu auf, ihn zu kaufen. Diese Widmungsgedichte in der Zisterne verraten meine frühen Freundschaften: Günter Eich, Hans Georg Brenner, Stephan Hermlin, Hans Werner Richter. Ich gehöre zu den so genannten Gründungsmitgliedern der Gruppe 47. Als kürzlich deren 50. Geburtstag gefeiert wurde, hieß es von ihren Gegnern, die Mitglieder hätten das geistige Klima der Nachkriegszeit bestimmt und sich gegenseitig alle bedeutenden Literaturpreise zugeschanzt. Das gilt nicht für mich. Tatsächlich habe ich nie einen der mehr als dreihundert verschiedenen Literatur- und Kulturpreise erhalten, die jährlich vergeben werden. Seit 1950, also seit 50 Jahren, wurde ich mit schöner Regelmäßigkeit nicht berücksichtigt.

Natürlich fragt man sich, wenn man nun bald 75 Jahre alt wird, wie es kommt, dass andere Dichter, Mitglieder oder Nichtmitglieder der Gruppe 47 oder anderer Gruppen, bis zu fünfzehn Preise im Leben einheimsen konnten, während man selbst immer leer ausging. Gab es künstlerische oder politische Gründe?

Auf jeden Fall wurde noch nie eine Rede auf mich gehalten. Noch nie hat mir ein Kulturdezernent einen Scheck übergeben. Nie durfte ich als Preisträger neben der Frau des Bürgermeisters sitzen. Noch nie ist einer meiner Verlage in die Verlegenheit gekommen, eines meiner Bücher mit einer Bauchbinde versehen zu müssen: Benn-Preis, Büchner-Preis, Kaschnitz-Preis, Nossack-Preis. Ich musste, mit anderen Worten, meinen dunklen Anzug nur zu Beerdigungen aus dem Schrank holen.

die horen, Heft 225, 1. Quartal 2007 

Lebenslauf
Nachruf
Gedenktag

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Verena Nolte: Erinnerung an einen lebenden Dichter
Neue Rundschau, Heft 1, 2005