Zum Tode Werner Riegels

Zum Tode Werner Riegels

Am 11. Juli starb ein junger deutscher Dichter in der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf, ein Dichter jener Generation, die lädiert und angeschlagen, auf jeden Fall aber tief geprägt, dem Krieg entkommen war; die dann einige Atemzüge lang geglaubt hatte, geglaubt an ein besseres Deutschland und an die Bekehrbarkeit des Menschen und die dann erleben mußte, daß sich kein Phönix, statt dessen aber der alte deutsche Adler umgewandelt aus der Asche aufrappelte, daß der Hungerzeit eine schlimmere der Saturiertheit und geistverlassenen Verfressenheit folgte, daß eine vernunft- und segenslose Epoche unbelehrt und anscheinend unbelehrbar eine neue Katastrophe vorzubereiten begann.

Dies Erlebnis, einer Generation zwischen den Kriegen anzugehören, diese Furcht und diese Tragik lasteten auf dem Dichter Werner Riegel und determinierten seine Verse, wenig konziliante, rabiate Gebilde, unzeitgemäß wie sie einer von sich selbst begeisterten Wirtschaftsprosperität erschienen.

Rauch, Himmel und Licht,
Das herbstliche Quartal.
Wer faßt das Sinngedicht
Unserer Schwingungszahl!
Wem strömt es wider Willen
Durch Larynx und Schlung,
Ehe sie ihn killen
In Kühle und Dämmerung!

Riegels Verse erschienen zuerst in seiner hektographierten Monatsschrift Zwischen den Kriegen, einer Zeitschrift für Literatur und Politik, die er bis zur 26. Nummer herausgab und redigierte. Es war die Zeit, wo man allenthalben nach dem jungen originalen Dichter rief. Dieser hier bot sich nicht an und kam keinem entgegen, dieser hier machte sich lustig über die Blütenlese schwächlicher Naturlyrik, diesen hier gestattete man sich also zu übersehen, wenn moderne Dichtung diskutiert wurde. Er war zu destruktiv, zu nihilistisch, er ging ihnen auf die Nerven; sie wollten Entspannung, Erhebung und alles mögliche Schöne, hier aber waren Verse, die einen ganzen Mann erforderten, man ging ihnen lieber aus dem Wege. Depressionen und Düsternis, wie wenig akut das ganze, da gab es liebenswürdigere Figuren!

War er ein politischer Schriftsteller, da wir ja betonten, daß ihn politische Dinge so sehr erregten? Ja und nein; Riegel selbst erfand für diese Art Anlage, wie er sie besaß und verkörperte, die Formel »Schizographie«. Das will nun auf keinen Fall bedeuten, daß einer nicht wohin weiß mit seinen Talenten, vielmehr ging es um die Kennzeichnung der Doppelanlage jenes Typs, der auf der einen Seite das moderne Gedicht schreibt, das absolute Gedicht, den Monolog im Angesicht der Schatten, der aber auf der andern Seite fähig ist, sich der Politik, der Gesellschaftsformung zu engagieren wie kaum ein zweiter; entschieden und radikal als Künstler wie als politischer Kopf, zweimal gefordert und zweimal bereit, zwei Berufungen und zweimal vorn, zweimal beauftragt und zweimal im Schußfeld der Auseinandersetzung.

Er war mit der Isolation und Anfeindung vertraut, er dachte nicht daran, sich irgendwo zu verwohlfeilen, er hatte den Stolz des freiwilligen Outcasts, das Ethos des Partisanen, der eine gute Sache lieber auf verlorenem Posten vertritt, als daß er sich wohlhonoriert anstellen ließe. Wo er nicht so kämpfen oder formulieren konnte, wie er es für gut und redlich erachtete, zog er es vor, sich zurückzuziehen.

Werner Riegel ist 31jährig an Gehirnkrebs gestorben, kurze Zeit, nachdem Rundfunk, namhafte Verlage und einige sehr progressive Zeitschriften ihn entdeckt hatten; er hatte es nie mit dem Erfolg, und der Erfolg war ihm nicht wohlgesonnen, ihm, dem keiner seine Besonderheit ansah, der als Bürobote sein Brot verdiente, der nicht das Geld für ein Studium hatte, nachdem der Krieg ihn irgendwo abgesetzt hatte und der doch zu den ganz wenigen gehört, deren Name eine Antwort gibt, wenn nach einem Stück bewältigter Gegenwart und der geistigen Leistung unserer Generation gefragt wird.

Peter Rühmkorf, Die andere Zeitung, 26.7.1956