Hölleritze,
die (Wiesenpapst, Litteratzel, Lachgras, Knulp, Spieglein, Spieglein an der Wand) vorübergehend. Familie der angestrengten Cerebriolen. Heupflanze.
Die blaßgelben Blüten in kunsthandwerklichen Körbchen. Blätter angebissen und behaart, haben die Form von hellhörigen Elefantenohren. Stiel knorzig. Pflanze wird daumchenhoch, ist aber unübersehbar. Liebt Erhöhungen. Am Blütenstiel scheidig; verwachsener vielzipfliger Hochblattquirl.
Die Hölleritze wächst in Wissenschaftsmüll, alten Poesiealben, auf Elefantenpfaden und in ausgehauchten Reimen zwischen Herz und Scherz. Sie fördert den Zersetzungsprozeß alter Pflanzen, weswegen sie als Humusbereiter von allen Gärtnern sehr geschätzt wird. Im gewöhnlichen Erdreich verkümmert sie schnell. Versuche, die Professor Dr. Peter Wapnewski unternahm, ergaben, daß die Hölleritze einzig und allein aus dem Verfall anderer Pflanzen ihren Nutzen zieht. »Sie überrascht durch ihre kombinatorische Fähigkeit.« Man kann die Beobachtung machen, daß das Vieh die Pflanze lange anschaut, sie aber nicht frißt. Nur der Dachs verschmäht sie nicht, er schlägt sich den Wanst damit voll, bevor er sich zu seinem Winterschlaf niederlegt. Ihren Nährwert erhält die Hölleritze erst als Heu.
Der Duft der Pflanze soll eingeatmet grundloses Lachen hervorrufen (deswegen Lachgras). Siegfried Unseld jedoch schreibt in seinem Rechenschaftsbericht ›Abenteuer beim Umtopfen‹: »Wir haben uns die größte Mühe mit dem interessanten Pflänzchen gegeben. Zu lachen gab es freilich nichts. Sollte man uns deswegen Humorlosigkeit vorwerfen?«
Als Heilkraut findet die Hölleritze kaum noch Beachtung: sie hat von jedem etwas, ist für und gegen alles, aber nicht genug, so daß es sich gar nicht lohnt, sie zu sammeln und zu trocknen. Lediglich seines Aromas wegen wird der Aufguß getrockneter Hölleritzen geschätzt. Er soll übrigens die Zunge geschmeidig machen und das Aussprechen schwieriger Wörter erleichtern. In der Oberpfalz ist die Hölleritze ein wichtiges Ingredienz des Bildungsbreis, der schon Kleinkindern vorgesetzt wird. Man verspricht sich dort viel davon und bietet ihn als Lockspeise zum Besuch von Heimatmuseen an.
Fritz Schönborn aus Deutsche Dichterflora, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983
Lebenslauf
Nachrufe
Günter Grass: Walter Höllerer nachgerufen
Sprache im technischen Zeitalter, Heft 166, Juli 2003
Norbert Miller: Der Vogel Rock
Sprache im technischen Zeitalter, Heft 166, Juli 2003
Peter Rühmkorf: Der Forderer
Sprache im technischen Zeitalter, Heft 166, Juli 2003
Bernhard Setzwein: Mitten am Rand
Sprache im technischen Zeitalter, Heft 166, Juli 2003
Gedenktage
Zum 65. Geburtstag des Autors:
Peter Rühmkorf: Dem ,Langen Gedicht‘ ein langes Leben!
Zum 100. Geburtstag des Autors:
Alexander Cammann: Aus Feuerschlünden
Die Zeit, 29.12.2021
Gregor Dotzauer: Zeremonienmeister der Literatur
Der Tagesspiegel, 16.12.2022
Michael Krüger: Weltgeist von Sulzbach-Rosenberg
Süddeutsche Zeitung, 19.12.2022
Simon Strauss: Der Hüter der Schatulle
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.2022
Michael Braun: Zirkusdirektor der modernen Poesie
Badische Zeitung, 19.12.2022
Dieter M. Gräf: Elefantisch
der Freitag, 18.1.2023
Das LCB sammelt hier zum 100. Geburtstag Fundstücke in Ton, Bild, Text und Film sowie aktuelle Veranstaltungen und Ausstellungen.
Helmut Böttiger: Walter Höllerer: Spaßmacher und hochgebildeter Homme de Lettres
Frank Schmid spricht mit Thomas Geiger zur Langen Nacht für Walter Höllerer