Ein Dichter, so trocken wie Champagner

Ein Dichter, so trocken wie Champagner

– Poesie als Mittel der Erlösung vom Ich: Zum 50. Todestag des Lyrikers T.S. Eliot. –

Wien – Vergeblich versuchte er das Eindringen der Biografen in sein Privatleben abzuwehren. Die Vorsichtsmaßnahmen nützten freilich nicht. Schließlich beschäftigte sich sogar das Kino mit dem komplizierten Eheleben des amerikanisch-britischen Schriftstellers T.S. Eliot. Vorlage hierfür wurde ein erfolgreiches britisches Theaterstück über das Ehemalheur des jungen Oxfordabsolventen Eliot mit der blaublütigen Vivienne Haigh-Wood.

Malheur deswegen, weil diese Verbindung in eine Katastrophe mittleren Ausmaßes mündete. Vivienne litt unter wiederkehrenden paranoiden Schüben, unternahm ständig Ausbruchsversuche aus dem steifen Adelsmilieu, während Eliot aristokratische Lebensform schätzte. Das Ergebnis war schon für die damalige Zeit recht herb: Der Dichter schob die Frau in eine Nervenheilanstalt ab und ließ nie wieder von sich hören.

Doch alles, was auf Bühne und Leinwand über diese Szenen einer Ehe zu besichtigen war, konnte man im Wesentlichen schon Jahre zuvor in der Eliot-Biografie des Briten Peter Ackroydt nachlesen. Er zeichnete das Porträt einer außerordentlich extremen Dichterpersönlichkeit. Es zeigt einen eher intoleranten Polemiker, dem man so allerlei zutraut; einen Intellektuellen und Künstler, der sich immer hinter neuen Masken zu verbergen versucht, einen, der es sich und seiner Umgebung nicht leichtmacht.

Auch Thomas Stearns Eliot, der aus einer streng puritanischen Familie in St. Louis, Missouri, stammte und sich nach dem Ersten Weltkrieg in London niederließ, wurde häufig von psychosomatischen Nervenkrankheiten heimgesucht. Die ersten Gedichte, die er bereits während des Studiums in Harvard und an der Sorbonne veröffentlicht, sind im klassizistischen Stil geschrieben. Gefährten jener Jahre beobachten an dem jungen Dichter eine ungewöhnlich starke Energie, Ehrgeiz und Hang zum Perfektionismus. Bereits 1922, nachdem er durch eine schwere Nervenkrise gegangen war, legte er das Gedicht vor, das sein lyrisches Hauptwerk bleiben sollte: The Waste Land.

Bis heute streiten sich Literaturwissenschafter über die Frage, inwieweit Eliots Dichterfreund Ezra Pound für die finale Fassung dieses Poems verantwortlich war. Fest steht, dass Pound das sehr lange Gedicht auf rund zwei Drittel seines Umfangs gekürzt hat. Das Werk leitete eine geradezu revolutionäre Entwicklung ein: eine Abkehr von der romantischen Tradition. Das neue poetische Credo verkündete Eliot selbst:

Die Poesie ist keine Entfesselung von Gefühlen, sondern eine Erlösung aus dem Gefühlsmäßigen; sie ist nicht der Ausdruck des Ichs, sondern die Erlösung vom Ich; aber natürlich wissen nur die, welche wirkliche Gefühl besitzen und ein Ich, was es heißt, diesen Dingen zu entrinnen.

Die Londoner Times nannte Eliot, der auch ein bedeutender Kritiker war, den »einflussreichsten Geschmacksveränderer unserer Zeit«. Tatsächlich umgab Eliot damals eine Aura, die ihn zu Lebzeiten bereits zum kosmopolitischen Humanisten, zum Verkünder einer neuen Kultur stilisierte. Später wurde er Mitglied der englischen Staatskirche – und von da an nahm sein gesamtes Werk eine tiefreligiöse Färbung an. Das begann 1930 mit dem religiösen Gedicht „Ash Wednesday“ und fand seinen Höhepunkt in Theaterstücken wie Murder in the Cathedral. Für sein Bühnenstück Cocktail Party soll Eliot eine runde Dollarmillion bekommen haben. Als einer der ganz wenigen seiner Zunft brachte er es zu Reichtum.

Für Eliot war Dichtung »nicht Ausdruck der Persönlichkeit, sondern die Flucht davor«. Dem entsprach sein lebenslanger Wunsch, Privates und Öffentliches streng voneinander zu trennen. Dennoch ist vieles über den Nobelpreisträger von 1948 und seinen schwierigen Charakter gesagt worden. Er selbst hatte sich als »Klassizisten in der Literatur, einen Royalisten in der Politik und einen Anglo-Katholiken in der Religion« bezeichnet. Der Literaturhistoriker E.R. Curtius meinte schon in den Zwanzigerjahren über Eliot, der am 4. Jänner 1965 gestorben ist:

Trocken ist er ja – aber nicht wie Staub, sondern wie Champagner.

Wolf Scheller, Der Standart, 3./4.1.2015

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