Hochhuthfinger,

Hochhuthfinger,

der (Leumund, Rigorispe, Fleckenkraut, Dolchwurz) ausdauernd. Familie der Purifizeen. Farbpflanze mit Giftwirkung.

Die blauen, schwarzgefleckten Blüten in fast kugeligen Dolden. Hülle der Dolden dornig, auch die drohfingerartigen Blätter mit Dornen. Der kräftige Stengel verleiht der Pflanze das Aussehen eines Mahnmals.

Der Hochhuthfinger ist grau bereift und wird ausschließlich von Gallwespen und Archivmotten bestäubt. Er wächst auf Krisenherden, zugeschütteten Fakten, auf Falschmeldungen und Geschichtsklitterungen und im Tiefernsten. An heißen Eisen rankt er sich hoch. Oft wuchert er und wird zur Plage für den Betroffenen. Seine weitverzweigten Wurzeln können Steine oder andere feste Gegenstände an die Erdoberfläche zerren. Im Volksmund sagt man dann: »Der Hochhuthfinger bringt es an den Tag.« Seine Fähigkeit, auch verloren geglaubte Gegenstände wieder herbeizuschaffen, bezweifelt Franz Josef Strauß in seinem Versuch einer Rechtfertigung ›Scherben bringen Glück‹: »Wir Politiker müssen erst gar nicht zu dieser Pflanze greifen. Wir haben ja die Feigenblätter.« Dr. Filbinger, der sich zeitlebens mit dem Hochhuthfinger befaßte, konnte keinen Beweis für eine derartige Wurzelarbeit finden. In seinem Buch ›Süßes Vergessen – Autobiographie eines Gerechtigkeit suchenden Juristen‹ schreibt er: »Da wird mehr Staub aufgewirbelt als an der Sache dran ist. In allen mir bekannten Fällen von hochhuthfingriger Wühlarbeit waren in Wirklichkeit rote Wühlmäuse am Werk.«
Die Pflanze enthält einen schwarzen Farbstoff, der früher zum Einfärben von Richterroben benutzt wurde. »Er macht päpstlicher als der Papst«, beklagt Hans Küng in seiner Broschüre ›Mein absolut letztes Wort zum Thema Wie schwarz ist eigentlich schwarz?‹ Es empfiehlt sich, die Stengel des sehr stacheligen Hochhuthfingers mit Handschuhen anzufassen. Karl Heinz Deschner erzählt in seinen ›Botanischen Richtigstellungen‹, daß er im St. Georg-Internat mit Hochhuthfingerruten gezüchtigt und angeschwärzt worden sei. Die Pflanze riecht streng moralisch und vergrämt die Hunde, die über ihr das Bein heben wollen. Pfarrer Kneipp empfiehlt einen Aufguß aus ihren getrockneten Blüten bei schlechtem Gewissen. Joachim Kaiser stellt dagegen eine eher einschläfernde Wirkung dieses Tees fest. In seinem Aufsatz ›Holzwege eines Pflanzenfreunds‹ bekennt er: »Man kann eigentlich nur einen Schluck davon trinken. Beim zweiten ist man schon eingeschlafen und träumt von unterlassenen Jugendsünden.« Forschungen des Max-Planck-Instituts in Rüdesheim haben ergeben, daß der Ernst, der vom Hochhuthfinger ausgeht, eine geradezu lähmende Wirkung hat. Die Wunden, die die Stacheln der Pflanze in die Haut ritzen, heilen nur schwer und führen nicht selten zu Dementihysterien.

Fritz Schönborn aus Deutsche Dichterflora, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983