Werber der Wahrnehmung
– Vom Rätsel ein Stück: Zum Tod des Dichters Rainer Malkowski. –
Was für ein Morgen – mit diesem Ausruf betrat Rainer Malkowski 1975 eine lyrische Szene, wo die schlechte Laune einer politisierten Poesie herrschte. Malkowski brachte einen neuen Ton, einen frischen Gestus. Im Titelgedicht dieses Bandes hieß es euphorisch:
Erleichtert,
mit triumphierend geschlossenen Augen
nehmen wir Abschied von allen Plänen.
Der Mann, Mitte Dreißig, der hier Abschied nahm, gehörte nicht zu den Ideologen, die nach revolutionärer Praxis gesucht hatten. Er besaß andere, solidere Erfahrungen. Etliche Jahre hatte er in der Werbung gearbeitet und war zuletzt Geschäftsführer und Teilhaber einer großen Werbeagentur gewesen. Nun aber war – nach frühen literarischen Versuchen – die endgültige Entscheidung für das Schreiben gefallen. »So kann man leben: / jeden Tag ein paar Sätze aufschreiben. / Andere sind Arzt / oder fahren einen Omnibus«, heißt es in einem Gedicht. Das ist nüchtern, aber keine Profanierung der Poesie, keine Revision einer existentiellen Entscheidung. Malkowski nahm sich nur das Recht, Dichter zu sein. Das gelungene Gedicht war für ihn stets ein Wunder, Vom Rätsel ein Stück, um mit dem Titel eines Bands zu sprechen. Rainer Malkowski hat die prekäre Balance zwischen Handwerk und Inspiration über die Jahre durchgehalten. In einer seiner wenigen poetologischen Verlautbarungen, 1999, in der Dankrede zum Breitbach-Preis, fand er die Formel:
Wahrnehmung als Ereignis – das ist es, was im Bewußtsein des Autors vorausgegangen sein muß, damit das Gedicht entstehen kann.
Und dann, als wäre das schon zuviel an Abstraktion, folgt der schlichte Nachsatz:
Unsere Lieblingsgedichte sind wahrscheinlich jene, bei denen wir am deutlichsten fühlen, daß sie uns sehend machen.
Rainer Malkowski hat solche Leser gehabt – und wird sie weiter haben. Er war ein passionierter Betrachter der sichtbaren Welt. Einer seiner schönsten Bände heißt Ein Tag für Impressionisten und andere Gedichte (1994). »Er liebte die Körnigkeit des Bordsteins, / auf den die Sonne trifft«, heißt es da. Und von dem Insektenforscher Fabre:
Was die Mühe lohnt,
konnte er
mit bloßem Auge erkennen.
Dem Autor selbst fiel es freilich mit den Jahren immer schwerer, solche Bilder zu sehen. Mehr und mehr ahnte man, daß die schweren Gläser, die er tragen mußte, ihn auf innere Epiphanien verwiesen.
Eines der späteren Gedichte zeichnet eine Krise, in der das Sehen versagt, das Licht verschwindet. Es endet mit der Wendung:
Aber dann kehrte es wieder,
und ich habe mich
flüsternd bedankt.
Dieser Dank für das Geschenk des Sehens wurde in den folgenden Jahren immer intensiver, immer geisterhafter. Zuletzt transzendierte Malkowski auch die lyrische Form und überraschte seine Leser mit zwei Büchern, die keine Gedichtbände waren. Das erste trug den hinreißenden Titel Im Dunkeln wird man schneller betrunken und den nicht minder schönen Untertitel »Hinterkopfgeschichten«. Es sind Stücke von hintergründigem Humor und harscher Illusionslosigkeit. Der Schlußtext zeigt den sterbenden Philipp II., wie er »auf ein Licht zu« liegt. Der Schreibende, der sich als Ungläubigen sieht, fragt sich, ob dieses Licht des Glaubens die Schmerzen des Leidenden verringert:
Ich möchte sagen: um keinen Deut. Und ich denke zugleich: um ihr volles Gewicht.
Solche Hoffnung wider alle Hoffnung prägt auch jenes Buch, das nun sein letztes geworden ist: die Nachdichtung von Hartmann von Aues Armem Heinrich. Diese Geschichte vom aussätzigen Ritter, der durch ein Orakel verführt wird, das Blutopfer eines unschuldigen Mädchens anzunehmen, hat Malkowski ohne falsche Aktualisierungen in freie Verse übertragen. Eine Arbeit, die der Dichter mit Hartmanns Schluß vom Eingang in die Ewigkeit beendete, gewissermaßen auf ein Licht zu. Das Thema des Sterbens hat Malkowski von Anfang an begleitet. In seinem Erstling von 1975 heißt es:
Dies ist ein Morgen
zu schön
um nicht an den Tod zu denken.
Doch dieser Dichter, der das Licht so liebte, hat kein Aufhebens von schweren Themen gemacht. Auch nicht von seiner Krankheit. Er war ein passionierter Freund, aber auch ein diskreter Mann. Die letzten Monate seines Lebens verbrachte er, wie er es in einem Gedicht auf den Tod seines Vaters beschreibt:
Ich hasse das Militär –
und dachte, als er zwei Jahre lang
klaglos starb, stolz:
Wie ein Soldat.
Am Montag ist Rainer Malkowski, dreiundsechzigjährig, gestorben.
Harald Hartung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.9.2003
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Walter Helmut Fritz: Ein leises Echo des entschwundenen Lebens
Stuttgarter Zeitung, 3.9.2003
Albert von Schirnding: Gehen und Sehen
Süddeutsche Zeitung, 3.9.2003
Gedenktag
Zum 10. Todestag des Autors:
Hans-Dieter Schütt: Glücklich im Bahnhofsrestaurant
neues deutschland, 31.8./1 9 2013