Rühmkorfzahn,

Rühmkorfzahn,

der (Mondpfeffer, Reimwurz, Ackerzote, Schalksohr) ausdauernd. Familie der satirischen Preziosen. Heil- und Küchenpflanze.

Die knallroten Blüten zahnförmig und mit herausgestreckter Zunge. Die Blätter sind grobgesägt und scharf, so daß es bei Berührung zu leichten Verletzungen kommen kann. Unterirdischer Stengel mit Knollen. Der Rühmkorfzahn wird von Kritikern bestäubt, mitunter ist aber auch das Gegenteil der Fall.

Die Pflanze wächst in studentischen Schrebergärten, in sanften Linkskurven und nicht zuletzt auch in der Vergangenheit der deutschen Seele. Sie wurzelt in der Vogelweide, rankt sich am Klopstock empor, blüht mit Heine und ziert das Knopfloch expressionistischer Vatermörder. Schnell hat sie sich einer anderen Pflanze bemächtigt und ebenso schnell setzt sie dieser ihre eigene Blüte auf. Danach richtet sich auch ihre Größe. Überdies findet man sie als Humusbereiter in der Aktualität und in den kritischen Randbeeten der Bildungsgärten. Die kinderfaustgroßen Knollen an den unterirdischen Stengeln sind eßbar. Sie schmecken etwas modrig und beschleunigen den Stuhlgang sowie das kritische Urteil, was, im Grunde, auf dasselbe herauskommt. Im Ruhrgebiet und in Hamburg nennt man die Knollen Proletentrüffel, in Bayern dagegen gelten sie als roter Durchmarsch.
Eine kräftige Abkochung der Pflanze samt ihrer Wurzel hilft gegen Bildungshysterie, konservative Blähungen und Idyllisieren der Hartleibigkeit. Peter Wapnewski schreibt in seinem Buch ›Das Mittelalter und seine Nachblütler‹: »Die weit zurück reichenden Wurzeln sind noch immer die besten. (Ich konnte das immer auch an mir feststellen). Dem Rühmkorfzahn gelingt es so, die losen Enden der Epochen ironisch zu verknüpfen. Schließlich ist alles eine einzige Plauderei: man muß nur die Botschaften der Natur verstehen.«
Die Abkochung schmeckt leicht pfeffrig, weswegen sie oft als Pfefferersatz benutzt wird. Allzu häufig genossen macht sie geschmäcklerisch. Nichtsdestotrotz ist sie eine der besten Würzen, die den deutschen Bildungsbrei genießbar machen. Sie fördert nicht nur den Genuß, sondern auch dessen Verdauung. Es fehlt jedoch nicht an kritischen Stimmen, die der abführenden Kraft der Pflanze mißtrauen. So schreibt der Waldundwiesenminister Bayerns, Hans Maier: »Das Experiment, den Rühmkorfzahn als Schulspeise den Kindern vorzusetzen, darf als mißlungen betrachtet werden. Mir scheint, daß viele einfach das stille Örtchen mit dem Paradies gleichsetzen.«
Die Pflanze setzt sich dessen ungeachtet durch. Auf der deutschen Gartenschau erhielt sie wegen ihrer Verdienst um die kritische Humusbereitung eine Ehrenmedaille, und die Ableger, die die Rowohltsche Zentralgärtnerei vorrätig hat, gedeihen neuerdings sogar in den ewig überhitzten Wohnzimmern deutschen Kulturbewußtseins. Das soll etwas heißen.

Fritz Schönborn aus Deutsche Dichterflora, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983

Lebenslauf

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Gedenktage

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Hajo Steinert: Ein Leben in doll
Deutschlandfunk, 24.10.1999

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Hanjo Kesting: In meinen Kopf passen viele Widersprüche
Sinn und Form, Heft 1, Januar/Februar 2005

Volker Weidermann: Der Eckensteher
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.9.2004

Zum 10. Todestag des Autors:

Ulrike Sárkány: Zum zehnten Todestag des Poeten Peter Rühmkorf
ndr.de, 7.6.2018

Zum 90. Geburtstag des Autors:

Stiftung Historische Museen Hamburg: Laß leuchten!
shmh.de, 20.7.2019

Julika Pohle: „Wer Lyriks schreibt, ist verrückt“
Die Welt, 21.8.2019

Vera Fengler: Peter Rühmkorf: Der Dichter, die die Welt verändern wollte
Hamburger Abendblatt, 21.8.2019

Volker Stahl: Lästerlustiger Wortakrobat
neues deutschland, 22.8.2019
Elbe Wochenblatt, 27.8.2019

Hubert Spiegel: Der Wortschnuppenfänger
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.8.2019

Anina Pommerenke: „Laß leuchten!“: Rühmkorf Ausstellung in Altona
NDR, 20.8.2019

Maren Schönfeld: Herausragende Ausstellung über den Lyriker Peter Rühmkorf
Die Auswärtige Presse e.V., 21.8.2019

Thomas Schaefer: Nicht bloß im seligen Erinnern
Badische Zeitung, 26.8.2019

Willi Winkler: Der Dichter als Messie
Süddeutsche Zeitung, 28.8.2019

Paul Jandl: Hanf ist dem Dichter ein nützliches Utensil. Peter Rühmkorf rauchte seine Muse herbei
Neue Zürcher Zeitung, 11.9.2019