Die Wörter, die Äpfel

Die Wörter, die Äpfel

– Zum Tod des englischen Dichters Michael Hamburger. –

Lebt wohl, Wörter.
Ich mochte euch nie,
der ich Dinge und Orte mag und
Leute am besten mit geschlossenem Mund.

Was für ein seltsames Bekenntnis für einen Dichter!

Das Bekenntnis des englischen Lyrikers und Essayisten Michael Hamburger kam aus der Tiefe des 20. Jahrhunderts, aus den Zeiten der Lüge und des Krieges. Er misstraute aller Sprach-Gewalt, aller Sprache überhaupt, ihren Regeln, ihrem Falsch und Recht. Er hatte seine Muttersprache aufgeben müssen, er war gezwungen worden, eine neue Sprache zu lernen, und immer wieder wurde er auf diesen Platz verwiesen, zwischen den Sprachen. Für die Deutschen ist Michael Hamburger, der im Alter von neun Jahren 1933 zusammen mit seiner Familie die Heimatstadt Berlin verließ und nach Großbritannien floh, ein englischer Dichter. Für die Engländer bleibt er, der fast nur auf Englisch publizierte, der Dichter aus Deutschland.

Er, der die Wörter nicht mochte, kannte beide Literaturen bis in ihre verborgensten Verse hinein. Er hat seinen Landsleuten auf der Insel noch im Krieg Hölderlins Werk nahezubringen versucht, er hat Celan und Huchel und Jandl übersetzt und die Gedichte vieler anderer Kollegen mehr. Er hat in den USA gelehrt, kannte das literarische Leben dort genauso wie das in der DDR, Grenzen konnten ihn nun wahrlich nicht schrecken.

Doch ihm, der die Wörter nicht mochte, sind die Wörter immer gefolgt. Seine Gedichte – Hans Magnus Enzensberger, Reiner Kunze, Adolf Muschg haben sie übersetzt und vor allem Peter Waterhouse – gehören zur europäischen Weltliteratur. Es sind Texte, die aus dem Traum kommen, aus der Erinnerung. Oder aus der Erfahrung der Natur. Gerade sie, die Baumgedichte, die Evokation der Vogel- und Pflanzenfarben, -seelen, ziehen den Leser besonders rasch in ihren Bann. Sie zeigen: Auch in der verwunschenen Gartenwildnis um das verwinkelte Haus in Suffolk, in dem er mit seiner Frau, der Lyrikerin Anne Beresford, die letzten Jahrzehnte wohnte, entkam er den Wörtern nicht.

Sie fanden ihn, er vertraute sich ihnen zögernd an. Dieses Zögernde, die Skepsis, ist Teil seiner Kunst. Spröde, splittrig zeigen sich seine Gedichte, wo sie am feinsten und zerbrechlichsten sind, stockend, wo sie am eloquentesten scheinen. Es bleibt das Misstrauen gegen die große Erzählung der Welt.

Hamburger hat eine Autobiografie geschrieben, Verlorener Einsatz, vom Berlin seiner Kindheit berichtend, von der ersten harten Zeit in der Fremde, den Jahren in Oxford. Über das London der Fünfziger, über T.S. Eliot, Jesse Thoor und Dylan Thomas, von Reisen durch Italien, der Wiederbegegnung mit Deutschland. Zu seiner Lyrik allerdings findet sich darin kaum ein Satz.

Lieber redete er, der die Wörter nicht mochte, über Äpfel – alte Sorten, die schon in Shakespeares Dramen vorkommen und die er züchtete. Die Äpfel, so schien es, waren seine Leidenschaft geworden: die Frucht des Paradieses, die uns einst die Erkenntnis brachte, also die Sprache und also den Tod.

Am 7. Juni ist Michael Hamburger in seinem Haus bei Saxmundham gestorben.

Benedikt Erenz, die Zeit, 14.6.2007