Ludvík Kundera zu Ehren

Ludvík Kundera zu Ehren

Aus einem Rundschreiben des Tschechischen Schriftstellerverbands erfahre ich, post festum, dass Ludvík Kundera unlängst seinen 50. Geburtstag gefeiert hat und durch eine »Huldigung ans Ungemach« im Brünner Kunsthaus öffentlich geehrt worden ist. Ich kann mir, da ich Kundera seit einigen Jahren kenne (ihn zu meinen Freunden zählen darf), denken: die Ehrung muss ihm »Ungemach« bereitet haben, denn – ein Mann des Rampenlichts ist er nicht, Lorbeeren sind ihm verhasst (ganz abgesehen davon, dass er – ein geistiger Schwerarbeiter – kaum Zeit fände, sich darauf auszuruhen). Kundera ist ein ebenso stiller wie fleissiger Autor, ein zurückhaltender Diskussionsredner, ein scheuer Gesprächspartner und – ein unvergleichlicher Briefschreiber. Popularität ist seine Sache nicht; dazu fehlt es ihm an schriftstellerischer Eitelkeit. Und dazu ist er, sich selbst und seinem Publikum gegenüber, zu anspruchsvoll. Von seinem berühmten Vetter, Milan Kundera, unterscheidet, sich Ludvík dadurch, dass er im Westen (noch) kein Konto besitzt, dass er (noch) keinen Roman geschrieben hat und dass unter seinen Werken kein prosaischer »Scherz«, sondern eine Theaterposse des Titels Unscherz zu finden ist… Einen Namen hat sich Ludvík Kundera gemacht als Lyriker, Dramatiker, Kritiker, Uebersetzer, Herausgeber, Anthologist, Journalist; er ist zudem einer der erfolgreichsten Vermittler zwischen den »Dichter- und Malerhorden« (Halas), einer der begabtesten tschechischen Hörspielautoren und wohl der begehrteste Vorwortschreiber der Republik (von Nerval über Jarry zu Ball und Brecht). Ueberzeugender als durch eine Aufzählung seiner bisherigen Publikationen lässt sich die Vielseitigkeit von Kunderas Schaffen mit einer Revue seiner derzeitigen Arbeiten belegen: in Vorbereitung (bzw. im Druck) sind ein neuer Gedichtband (Fälle), ein Theaterstück, eine mehrbändige tschechische Brecht-Ausgabe, die Edition des Halas’schen Gesamtwerks – die Uebersetzung von Balls Tenderenda, die Akten des Halas-Symposiums von Künstát, (1969), der von Kundera betreute Nachlass des Dichters Oldrich Wenzl, Texte, der neubegründeten Dichter- und Malergemeinschaft »Q«, eine Sammlung von Medaillons zur tschechischen Kultur- und Geistesgeschichte, eine Schriftenauswahl von Jakub Deml, ein Vorwort zu Alexander Kluges Stalingrad (und vermutlich noch anderes mehr). Nein, für einen Mann wie Kundera ist das Altern kein Problem, ein 50. Geburtstag keine Zäsur: »Schreiben« bedeutet ihm »Widerstand leisten«, Widerstand gegen »Ungemach«, Widerstand gegen die Zeit. Aus diesem Grund wohl hat mir Ludvík Kundera seinen Jahrgang verschwiegen. Er gehört noch heute zu den Jungen. Dennoch: das Lexikon gibt als Geburtsdatum den 22. März 1920 an.

Felix Philipp Ingold, die Tat, 2.5.1970