And the Beat goes on
– Lawrence Ferlinghetti ist im Alter von 101 Jahren gestorben. Mit dem Tod des Dichters, Verlegers und Betreibers der legendären Buchhandlung City Lights in San Francisco wird die Ära der Beatniks historisch. –
Ein wahrer Dichter gibt sich seinen Namen selbst. Lawrence Ferlinghetti, 1919 im Staat New York als Lawrence Monsanto Ferling geboren, teils im Waisenhaus, teils in der Obhut treu sorgenden Reichtums aufgewachsen, in den USA und in Frankreich bei Verwandten, re-italianisierte sich, spulte die Eilfertigkeit zurück, mit der der Vater, ein italienischer Immigrant, sich eingeenglischt hatte. Seine Freunde nannten ihn lustigerweise Ferl. Er, der ewige Spaßvogel, hat die Ironie mit Sicherheit zu schätzen gewusst.
In gewisser Weise war Ferlinghetti der Neil Young unter den Beat-Poeten: unbestritten genial, lyrisch von schwankender Qualität, aber egal, immer lässig, blendend gelaunt, unkaputtbar, und voller Projekte, die weit übers Schreiben hinausreichten.
»Ich wünschte, ich hätte Ferlinghettis grenzenlose, genussvolle, enthusiastische Kraft«, schrieb 1961 Jack Kerouac, der Autor von On the Road. Heute muss man das ja dazusagen; die Epoche der Beat-Literatur wird mit jedem Jahr historischer, alle sind längst verschwunden, Ginsberg, Kerouac, Cassady. Nur Ferlinghetti war noch da, in seiner Verlagsbuchhandlung City Lights Bookstore im Viertel North Point in San Francisco oder, zuletzt, also in den letzten Jahrzehnten, immer öfter malend im Hunters Point Shipyard am südöstlichen Zipfel der Stadt.
Da schrieb er dann in großen Lettern »IRAQ« quer über Gemälde aus Schwarz und Feuer. Subtilität war seine Sache nie. Über das Licht in seiner ewigen Heimat San Francisco, in die er 1951 nach der Promotion in Paris (über das Symbol der Stadt in der Literatur der Moderne) gekommen war, sagte er einmal, es perle nicht so wie das an der Seine. In San Francisco gebe es pausenlos Schlagschatten, als wäre es den ganzen Tag über früher Morgen. Offenbar ein Klima, in dem nicht nur konturierte Haltungen gedeihen, sondern in dem auch man nur sehr langsam älter wird.
Wer konnte bis gerade eben schon noch von sich sagen, dass er einmal für die Veröffentlichung von Literatur verhaftet worden wäre? Ferlinghetti konnte. Das war ihm nämlich 1956 mit Allen Ginsbergs Howl passiert, dieser poetischen Kathedrale der heraufziehenden Hippie-Ära mit ihrem sprichwörtlich gewordenen Anfang: »I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked, dragging themselves through the Negro streets at dawn looking for an angry fix.« Heute gäbe es auch wieder Schwierigkeiten, allerdings aus anderen Gründen als damals. Nach einem aufsehenerregenden Prozess wegen Obszönität wurde der Verleger Ferlinghetti jedenfalls freigesprochen.
Bis quasi zuletzt dichtete er auch selbst. Weder im Leben noch in der Poesie machte er je den Joschka Fischer, ging joggen und zog sich Nadelstreifen an. Frühe Überzeugungen, der Kapitalismus sei ein Irrtum, Spießigkeit blöde und Lockerheit top, behielt Ferlinghetti zeitlebens bei. Zum Beweis zog er 1975 sogar Howl durch den Kakao, für die Hippies wie gesagt eine heilige Kuh. In seinem Populist Manifesto von 1975 heißt es: »We have seen the best minds of our generation / destroyed by boredom at poetry readings«.
Andere Populisten außer ihm selbst ließ er weniger gelten. Als ihm 2012 der PEN-Club einen Preis verleihen wollte, in dem irgendwie die Ungarn mit drin hingen, lehnte er ab; mit Orbáns Schergen wolle er nichts zu tun haben.
2015 erschienen die Reisejournale Writing Across the Landscape, die die Jahrzehnte von 1960 bis 2010 abdeckten. Erst vorletztes Jahr kam die Roman genannte Autobiografie Little Boy, ohne Punkte, ein einziger mitreißender Bewusstseinsstrom, in dem schon mal flotte kleine Nachbarschaftsfliegen total gelangweilt auf Tischen liegen beziehungsweise, in Ron Winklers Übersetzung, »prangen«.
Selbst Insekten sah Ferlinghetti also nach, wenn sie für das, was landläufig als Poesie gilt, wenig übrig haben und vor Ödnis einpennen. Ihm selbst ging es ja ähnlich. Um im New Yorker gedruckt zu werden, befand er einmal, brauche es vor allem Anmaßung und Unverständlichkeit. Die hatte er nicht im Angebot. »Ist das unverblümt genug?«, sagte er gern über seine Arbeiten. In seinem vielleicht berühmtesten Gedicht »I Am Waiting« aus der bestsellenden Sammlung A Coney Island of the Mind von 1958 heißt es: »I am waiting for the Great Divide to be crossed / and I am anxiously waiting/ for the secret of eternal life to be discovered/ by an obscure general practitioner.« Leider hat kein gemeiner Hausarzt das Rezept des ewigen Lebens entdeckt, jedenfalls nicht bis jetzt. Für Ferlinghetti wird es dereinst zu spät kommen, denn er ist am 22. Februar 101-jährig in, wo sonst, San Francisco gestorben. Aber vermutlich ist er nicht allzu traurig drum, denn schon 1958 schrieb er weiter: »And I am waiting / for the storms of life / to be over / and I am waiting / to set sail for happiness.«
Jan Küveler, Die Welt, 23.2.2021
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Gedenktage
Zum 100. Geburtstag des Autors:
Franz Dobler: Großer Mann mit großer Story
jungewelt.de, 23.3.2019
Willi Winkler: Einer ist noch da
Süddeutsche Zeitung, 22.3.2019
Jean-Martin Büttner: Nicht einmal er glaubt mehr an die Revolution
bernerzeitung.ch, 22.3.2019
Stefan Buck: Der letzte Beatnik wird hundert Jahre alt
Die Welt, 24.3.2019
Tom Schulz: Mit 100 fängt das Leben doch erst richtig an
Neue Zürcher Zeitung, 24.3.2019
Bernhard Widder: Lawrence Ferlinghetti wird 100: Poesie der Empörung
Wiener Zeitung, 24.3.2019
Lawrence Ferlinghetti denkt über sein Leben nach: LITTLE BOY