Krolowandel,

Krolowandel,

das (Wiesengebärde, Parfümant, Wortwinde) ausdauernd. Familie der tändelnden Preziosen. Zierblume.

Die honiggelben, blaugeäderten Blüten haben die Größe von Augengläsern und duften nach sanften Infamien. Stengel aufrecht. Blätter eingekerbt, echt handgeschöpfte Bütten, beiderseits gelbfilzig und in hoher Auflage.

Das Krolowandel wächst auf Kahlschlägen, in herbstlichen Gefühlen, in den Wechseljahren und in melancholischen Niemandsländern. Es liebt einen lockeren, flachgründigen Boden, sowie schmeichelnde Wärme und geht immer auf seine Umgebung ein. Zerstreut, aber stets dominierend, macht es aus einem Standort eine Pflanzstätte kaum wahrnehmbarer Wiederholungen. Steht es für sich allein, entfaltet es lyrische Pracht und lädt zum Abzeichnen ein. Bienen finden in ihm jedoch keinen Honig. Schmetterlinge lassen sich nur deswegen auf ihm nieder, weil die Krolowandelbliiten selbst wie Schmetterlinge aussehen. Überhaupt ist das Krolowandel Anlaß zahlreicher optischer Täuschungen, zu deren Erklärung man eine halbwissenschaftliche Kommission eingesetzt hat.
Als Heilpflanze findet es kaum noch Verwendung. Hat einer eine heisere Stimme, hustet und krächzt erbärmlich, so siede er die getrocknete Wurzel des Krolowandels und gurgle mit dem Saft. Das verhilft ihm zu einer sanften, alles versöhnenden Aussprache. Akademikerinnen, die den Mann nur als blaue Blume kennen, trocknen die Krolowandelhlüten und benutzen sie als Buchzeichen oder als Verschönerung ihrer einsamen Abende. In der Tat übertreffen sie die frischen Blüten an Schönheit. Sie gleichen um Erfüllung flehenden Frauenhänden.
Wiederkäuer aller Art lassen das Krolowandel stehen, weil die Pflanze beim zweiten Zubiß sehr an Geschmack verliert. Katzen lieben seinen Duft und umkreisen es miauend. Das mag der Grund sein, weswegen unsere Großeltern es noch als ein die Liebe förderndes Kraut benutzten. Es machte aus ihnen jedoch nur vergebliche Liebeslyriker. Heute dagegen ist das Krolowandel lediglich als Zierblume geschätzt, die an Gefühle von Gefühlen erinnert.
»Man hat an ihm«, schreibt Walter Jens in seinem Buch ›Am Wegrand gepflückt – Gedanken über Blüten‹, »ein gedankenloses Wohlgefallen.«

Fritz Schönborn aus Deutsche Dichterflora, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983

Lebenslauf

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Nachrufe

Der Freitag ✝ Der Spiegel ✝ Die Welt ✝ Der Tagesspiegel ✝︎

Michael Braun: Die Defäkation Dasein
Frankfurter Rundschau, 23.6.1999

Harald Hartung: Algebra der reifen Früchte
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.6.1999

Charitas Jenny-Ebeling: Dichter der Abschiede
Neue Zürcher Zeitung, 23.6.1999

Kurt Oesterle: Aufzuschreiben, daß ich lebe
Süddeutsche Zeitung, 23.6.1999

Gedenktage

Zum 65. Geburtstag des Autors:

Peter Jokostra: Wenn die Schwermut Fortschritte macht. Zum 65. Geburtstag
Die Welt, 11. 3. 1980

Walter Helmut Fritz: Großer Weg zur Einfachheit. Zum 65. Geburtstag
Stuttgarter Zeitung, 11. 3. 1980

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Joachim Kaiser: Einzigartiger lyrischer Zeitzeuge
Süddeutsche Zeitung, 10./11.3.1990

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Kurt Drawert: Das achte Leben der Katze
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.3.1995

Curt Hohoff: Schlechtes vom Menschen, nichts Neues also
Die Welt, 11.3.1995

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Oliver Bentz: Lyrik, luft- und lichtdurchlässig
Wiener Zeitung, 8.3.2015

Fritz Deppert: Karl Krolow: Der Wortmusiker von der Rosenhöhe
Echo, 9.3.2015

Christian Lindner: Gedichte aus der frühen Bundesrepublik
Deutschlandfunk, 11.3.2015

Alexandru Bulucz: Immortellen, Nebel“
faustkultur.de, 11.3.2015

Peter Mohr: Allianz von Wort und Wahrheit
titel-kulturmagazin.net, 11.3.2015