Seemann in Berlin

Seemann in Berlin

– Die Sympathie des deutschen Lyrikers und Verfassers von Theaterstücken galt den Unterpriveligierten und Unterdrückten. Er war ein nach Berlin verwehter Seemann mit weiten Hosen und breitkrempigem Hut, der überall, wo er ging und stand, Gedichte hinterließ. –

Johannes Schenk, so schrieb einst Hartmut Lange, ein philosophisch gebildeter Autor und strenger Kritiker der deutschen Gegenwartsliteratur – Johannes Schenk »ist als Lyriker so gut wie unverkäuflich, aus einem einfachen Grund: Er macht ausgezeichnete Lyrik. Seine Gedichte sind schön und bereiten Genuss. Der Autor beherrscht seine Mitteilung und ihre poetische Form. Die marktpolitischen Rücksichten, die seine Mitteilung aufputzen, das Gedicht aber zerstören würden, beherrscht er nicht. Insofern ist Schenks Lyrik ein kapitalistischer Ladenhüter.«

Diesen Sätzen ist nichts hinzuzufügen, außer dass Johannes Schenk am 4. Dezember überraschend in Berlin verstorben ist. Er wurde 65 Jahre alt und starb, wie er gelebt hatte, als Poet, dessen Gedichte von Schriftstellerkollegen hoch geschätzt, aber vom lesenden Publikum nicht »angenommen« wurden, so dass es nach einem fulminanten Debüt im Wagenbach Verlag immer einsamer wurde um ihn, der zuletzt gezwungen war, sein Werk im Selbstverlag herauszubringen.

Schenk war der Typus des Malerpoeten, Theatermachers und Bohemiens, wie es ihn seit Günter Bruno Fuchs in Berlin nicht mehr gab, am ehesten vergleichbar mit Jakob van Hoddis, der »Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut« dichtete, mit richtigem Namen Hans Davidsohn hieß und 1942 als »jüdischer Nervenkranker« im KZ Sobibor ermordet wurde. Der Hinweis auf Jakob van Hoddis steht hier nicht von ungefähr: Einmal weil Johannes Schenk dessen Gedichte liebte und gegen linke Beckmesser in Schutz nahm, die nach 1968 die Expressionisten als reaktionäre Bürgersöhne verspotteten. Zum andern, weil Schenk Ende der siebziger Jahre zum jüdischen Glauben übertrat und keinen Hehl machte aus seiner Sympathie für den Staat Israel, dessen Existenzrecht er auch gegen linke Kritiker vehement verteidigte.

Was ihn von Jakob van Hoddis und andern Expressionisten unterschied, war der persönliche Bezug zum Meer, das Schenk als Schiffsjunge und später mit seinem eigenen Boot befuhr und das im Mittelpunkt fast aller seiner Bücher stand – mit sprechenden Titeln wie: Der Schiffskopf (1968), Bis zur Abfahrt des Postdampfers (1988), Überseekoffer (2000). In der Terminologie von Carl Schmitts Essay »Land und Meer« zu sprechen, war Johannes Schenk ein Seeschäumer, und in einer biografischen Notiz für das PEN-Autorenlexikon charakterisierte er sich und seinen Werdegang so:

Aufgewachsen in Worpswede, wurde ich mit 14 Jahren Seemann. 6 Jahre auf verschiedenen Frachtdampfern. 1962 machte ich mit einem zum Segler umgebauten Rettungsboot allein eine Reise nach Casablanca. In Berlin gründete ich mit Freunden das Kreuzberger Straßentheater. Schreibe Gedichte, Stücke und Geschichten.

Mit seinem Straßentheater, für das die Malerin Natascha Ungeheuer Bühnenbilder und Kostüme entwarf, mit Büchern wie Die Genossin Utopie (1973) und mit seiner Teilnahme an der Lissaboner »Nelkenrevolution« von 1974 hat Johannes Schenk dem linken Zeitgeist Tribut gezollt, wiewohl ihm jeglicher Dogmatismus und Fanatismus ein Gräuel war. Er verabscheute Gewalt, auch wenn sie nur in Verbalradikalismus bestand, und verfolgte die ideologischen Haarspaltereien der siebziger Jahre mit Kopfschütteln. Als Absolvent einer Dorfschule musste er sich sein Wissen mühsam anlesen, was ihn nicht daran hinderte, sich mit Günter Grass anzulegen, ebenfalls Autodidakt, der ihm bei einer privaten Lesung in Ostberlin Naivität unterstellt hatte.

Johannes Schenk war ein fremder Gast in den Doppelhaushälften der damals noch geteilten deutschen Literatur, in seinem Zirkuswagen in Worpswede ebenso wie in seinem Kreuzberger Hinterhof, wo er, lange bevor dies Mode wurde, das Schenk’sche Sonntagscafé eröffnete, das Künstlern wie A.R. Penck als Probebühne diente: Ein nach Berlin verwehter Seemann mit weiten Hosen und breitkrempigem Hut, der überall, wo er ging und stand, Gedichte hinterließ, bevor er Montagnachmittag im Atelier seiner lebenslangen Gefährtin Natascha Ungeheuer an Herzversagen starb.

Hans Christoph Buch, Die Welt, 7.12.2006

Lebenslauf

Fakten und Vermutungen zum Autor + KLGArchiv + Kalliope

Nachrufe

lmue: Hinter dem Meer
Süddeutsche Zeitung, 6.12.2006

sv.: Fast der Bürgermeister von Worps­wede
Berliner Zeitung, 6.12.2006

Hans-Christoph Buch: Seemann in Berlin: Zum Tode von Johannes Schenk
Die Welt, 7.12.2006

Fred Viebahn: Johannes Schenk: Vignetten der Erinnerung an einen alten Freund
P.E.N. Zentrum, März 2007