Totenrede für Günter Bruno Fuchs

Totenrede für Günter Bruno Fuchs

Ein genialer Mensch ist gestorben, das ist leicht gesagt
die Freunde kommen und sind mit ihm einig
die Freunde aus der DDR sind mit ihm einig und können nicht kommen
sie telefonieren, daß sie nicht kommen können und lassen sagen, daß sie anwesend sind
es kommen auch ein paar Leute, die man nicht sieht
es kommt Peter Hille mit dem Papierschnitzelsack und sagt: Fuchs, mal ganz ehrlich, hältst du es für möglich, daß irgendein Mensch in dieser weltweit verlorenen Stadt weiß, wer wir sind?
es kommen Olescha, Babel und Sostschenko, sehn sich die Trauerfeier an und haben vom Tod nichts anderes erwartet
auf altem Knickebein kommt Don Quichote und hängt einen Windmühlenflügel an den Baum
es kommt Quirinus Kuhlmann und bittet um Wunderkerzen, es kommt Andreas Gryphius und dankt für ein paar berechtigte Fragen
es kommt Ringelnatz und bedankt sich für die kinderleichte Abschaffung wortkargen Tiefsinns und wortreicher Ideologie
der unbekannte Lyriker klettert von seinem Denkmal und überreicht einen Orden für die Reinigung der Sprache von poetischem Falschglück und illusionärem Schwindel
es kommt der bewährte Dick und der kluge Doof, sie lüften den Hut, mehr brauchen sie nicht zu tun
es kommt Buster Keaton und sagt: wir haben das gut zwischen uns aufgeteilt: du lachst, ich verzieh keine Miene, beides täuscht
es kommen Brendan Behan und Dylan Thomas, es kommt Günter Eich und schweigt sich aus
es kommt Carl Michael Bellmann und ruft von der Straße: du hast tüchtig lange ausgehalten, reiß dir den Morgenstern runter ins Kohlenloch!
Mit dem Nachtzug aus Frankfurt kommt VauO Stomps; es ist das erste Mal, daß er nicht am Bahnhof Zoo abgeholt wird, aber das macht nichts, sagt er, ich habe einen guten Morgen mitgebracht, der genügt für zwanzig Bücher und ein ganzes Leben
es kommt Bobrowski und nickt mit dem Fallada-Kopf; unser Begräbnislied kennst du ja, sagt er, Abel Babel, Gänseschnabel, Engelfüßchen schmecken süßchen
und er fügt hinzu: Offener Himmel Wolke / tiefer die Vögel ein Fluß / der kleine Mann im Papierschiff / hat einen Bauch er ruft / hinauf zu der Schwalbengirlande / und winkt den Kindern und schwenkt / den Papierschirm steig aus kleiner Mann
es kommt das Pferdchen Krause aus der Admiralstraße, dann geht es nicht weg, dann bleibt es immernoch da
es kommen die Kinder vom Buddelplatz und die Kellerkinder vom Hof, danken für Bilder und Reime vom dicken Mann und haben nicht erst heute von ihm gehört
es kommt der Abgeordnete des Berliner Hausmeisterverbandes und überreicht das aus Sperrholz und Knete zusammengepunzte Modell einer Berliner Mietskaserne, mit kollegialen Grüßen für den Kenner dieser und anderer Verhältnisse
es kommt ein Vertreter der Polizei und hinterläßt die Pappimitation eines Stiefels dann geht er wieder weg und das ist das einzige, was man von ihm erwarten kann
das Finanzamt hat auch schon davon gehört; der Gerichtsvollzieher ist in eine Spendierhose gezwängt worden und überreicht einen symbolischen Sargnagel
es kommt Jaques Prévert und verspricht, die Berliner Haikus herauszugeben im siebten Himmel, ein bißchen Kuckucksewigkeit kann gar nichts schaden
es kommt ein Vertreter der deutschen Kritik, verschwendet eine Krokodilsträne und bittet im Namen seiner Kollegen um Nachsicht für Versäumnisse in zwanzig Jahren; ob die Nachsicht gewährt werden kann, hängt davon ab
es kommen Schneekönige und Trebegänger, Zauberkünstler, Rentner und Stielnasen aller Art und danken für die poetische Wahrnehmung ihrer Interessen
es kommt Johannes Hübner und überreicht ein Gedicht mit handgeschriebenen Grüßen von Apollinaire
es kommen ein paar mittelgroße oder kleinere Veranstalter der Literatur. Wir haben Sie, heißt es, seit jeher in die engere Wahl gezogen, aber so einfach ist das nicht mit der Preiswürdigkeit, seriös, seriös, erwachsen werden, und außerdem hat das alles noch Zeit (der alte Fontane darf das gar nicht erfahren)
es kommen Vertreter der Verlage und laden verramschte Bücher ab. Leider, heißt es, müssen wir Ihre Hoffnung unverbraucht an Sie zurückgeben; Ihre Spiele sind uns nie richtig abgenommen, geschweige denn aus der Hand gerissen worden, schöne Ladenhüter, sagen Sie selbst
es kommt der Redakteur des Reimlexikons, dankt für die gute Zusammenarbeit und ruft: vorzuweisen / Orchidee / Abstellgleisen / Hungerklee
aus sonntäglichen Kaffeegärten am Wasser kommt Onkel Pelle und bittet um unverwüstliche Bilder für seine Kundschaft
es kommt der Herr Friedrich Sandboppel aus Berlin-Britz und behauptet, sich eingelebt zu haben in seinem Gedicht
Arm in Arm mit dem Eckensteher Nante erscheint Glassbrenner und sagt: du bist so ziemlich der Einzige, von dem wir noch was gelernt haben, aber das bleibt unter uns
es kommen Zille Chodowiecki und laden ihn in ihre guten Stuben ein
es kommen die Bildermacher aus Neuruppin und erklären ihn nachträglich zu ihrem Vorbild
es kommt Hans Arp, nimmt Fuchs beiseite und sagt: das mit der Doppelbegabung, schön und gut, aber wir beide sind da doch ziemlich allein auf weiter bilderreicher Flur
es kommt der Buchhändler Wolff aus Friedenau und bittet um eine Illustration zu Oblomovs Traum
es kommt der Maler Werner Held und möchte von ihm, nur von ihm, die Mauer gezeigt bekommen
es kommt eine Vertretung der Leserschaft Ost-West und überreicht einen Fragebogen: wer oder was ist Günter Bruno Fuchs? Können Sie uns das schlüssig erklären?
ist er ein Dichter, ein Poet oder eine pittoreske Haut?
wo bleibt der gute alte Unterschied zwischen Kneipe, Kunst und Leben?
ist er nun der Melancholiker mit Grübchen oder der Elegiker mit Kinderpistole? Ist er ein vegetarischer Pazifist, ein Geschichtenerzähler mit epischem Wurmfortsatz?
trifft es zu, daß er ideologische Klippen mit einem Papierboot umschiffte, ohne zu wissen, was ihm da möglich war?
ist es richtig, daß sein Werk sich als KLEINVIEH MACHT AUCH MIST-Panorama darstellt, oder als Welttheater mit märkischem Sonderzuschlag?
ist er tatsächlich der Moralist, der den eigenen Zeigefinger verschluckt und verdaut hat?
ist er Miniaturist oder Gaukelbursche? Ist er der geborene Volkskünstler, nach dem wir uns seit Otto Nagel so unumwunden sehnen? Ist er ein Papageno aus Kreuzberg oder ist er ein Litaipo aus der Sternhagelfülle? Ist er ein Romantiker oder was ist er? Macht er das freiwillig? spielt er was vor?
ist etwas Wahres an der Behauptung, daß Paul Scheerbart ihm seinen Flaschenöffner vermachte und ist etwas Wahres an der Behauptung, daß er vorübergehend als Ghostwriter für Theodor Kramer tätig war?
ist es zutreffend, daß Metaphorik und Rotwelsch dieses Autors vom preußischen Bänkelsang mehr als beeinflußt wurden?
ist es richtig, daß der Verfasser des Schwejk seine Prosa schätzt und ist es richtig, daß Lafontaine seine Fibelgeschichten ins siebzehnte Jahrhundert übersetzen will?
ist er nun Zeichner oder Dichter, das eine mehr, das andere auch, oder beides zur Hälfte?
aus wievielen Bruderschaften setzt sich seine Aesthetik zusammen?
langsam langsam
und was noch?
Wau Wau, sagt unser Hund, ich gehe nach Bremen und stürme das Räuberhaus!
und was noch?
Behaltet die Formel, die aus Särgen alter und neuer Langeweile Kleinholz macht. Bettet den Freund und den Feind, die nicht mehr nach Hause kommen, wenn der Totengräber, der Staub zu wandern beginnt.
und was noch?
Guten morgen!
und was noch?
adieu.

Christoph Meckel, Sprache im technischen Zeitalter, 1977