Wider den Nebel des Vergessens

Wider den Nebel des Vergessens

 – Anmerkungen zum 50. Todestag des Dichters Georg Maurer. –

Man findet immer Anzeichen, wenn sich über Dichtern der Nebel des Vergessens zusammenzieht. Es hat dann meist länger keine Neuveröffentlichung gegeben. Der Dichter war – vielleicht im Schulunterricht – mal (manchmal auch öfter) Opfer eines größeren Missverständnisses geworden, und der herrschende Kritikermainstream konnte schon zu Lebzeiten mit dem Künstler wenig, zuweilen gar nichts anfangen. Kommt er dann noch aus dem Osten des Landes und war nachweislich Sozialist, ist der weitere Umgang mit ihm weitgehend vorgezeichnet.

Auf Georg Maurer, geboren am 11.  März 1907 in Siebenbürgen, verstorben am 4. August 1971 in Potsdam, treffen einige dieser »Kriterien« zu. Die letzte Neuveröffentlichung, sie datiert aus dem Jahre 2007, ist dem Verleger Peter Hinke und Eva Maurer, der Herausgeberin und Witwe des Autors, zu verdanken. Mit dem Gedicht »Der Schreitbagger« und dessen Interpretation (»was wollte der Dichter uns damit sagen?«) ist so mancher Schüler in der DDR ordentlich gepiesackt worden. Und ja, der Mann war nicht nur Lyriker und Essayist, sondern auch noch bekennender historischer Materialist und Sozialist. Und ja, im Westen dieses (nun wieder zusammengenagelten) Landes begegnete man ihm meist mit Unverständnis, Ignoranz oder einer gehörigen Portion Abneigung. Dies galt auch für Dichterkollegen. So hatte 1971 Gregor Laschen Maurer eine »neoklassizistische Lyrik« und »selbstgefällige Gespreiztheit« attestiert, was so ungefähr das Blödeste ist, was man dem Dichter vorwerfen konnte.

Aber es war Georg Maurer, der den »Dreistrophenkalender«  schrieb – nicht nur eine Betrachtung der Jahreszeiten, eine von Optimismus geprägte lyrische Anschauung von Mensch und Natur:

Die Wellen schwatzen mir zu schnell,
sagt die zarte Trauerweide
und webt mit grünen Fäden hell
an ihrem langen Kleide. 

Oder:

Zum Ziehen braucht das Pferd die Brust,
der Ochse seine Felsenstirne.
Der Mensch hat nicht genug an seinem Hirne,
der Hintern blieb ihm unbewußt.

Die Lyriksammlung war in der DDR ein Verkaufsschlager. Georg Maurer war seit 1955 Dozent, später Professor am Institut für Literatur »Johannes R. Becher«,  wo er maßgeblichen Einfluss auf die Autoren der sogenannten Sächsischen Dichterschule wie Volker Braun, Sarah und Rainer Kirsch, Heinz Czechowski oder Karl Mickel hatte. Der Autor Helmut Richter charakterisierte Maurers Lehrmethode so:

Er praktizierte eine Methode, die freilich nur der praktizieren kann, der die Dichtung aus mehreren 1.000 Jahren überschaut. Er entnahm der schier unerschöpflichen großen Tasche (…) Buch um Buch und umstellte die Gedichte seiner Kursanten mit Beispielen wie mit großen Spiegeln.

Hier wären wir bereits beim lyrischen Verfahren des Dichters. Maurers elementarer Bezug zu Sprache, Natur und Menschheit ist dabei von entscheidender Bedeutung. Er konnte in einem einfachen, alltäglichen Vorgang Welthaltigkeit erschließen, statt eine »bewußte weltanschauliche Aussage zu forcieren«.  Es ist hier nicht hinreichend Raum, die Entwicklung dieses Poeten auch nur grob nachzuzeichnen. Maurer hat vor allem in seinen letzten Schaffensjahren eine lyrisch dialogische Form entwickelt, die Prosaelemente enthält, die aber im Kern lyrisches Sprechen bleibt und die es ihm gestattete, selbst abstrakte Gedanken lyrisch zu »übersetzen«, zu veranschaulichen. Dabei schlug er, sprachlich ausgearbeitet, einen hohen Ton an, der klassische Traditionen nicht verleugnet, aber neu aufbricht, zuweilen volksliedhafte Elemente aufnimmt und – nicht zuletzt aus dieser Spannung – eine unverwechselbare Eigenheit gewinnt.

Maurers entscheidende Entwicklungjahre als Dichter und seine beharrlichen Entdeckungen fallen in eine Zeit ernsthaftester Anstrengung in der DDR, eine sozialistische Gesellschaft zu errichten, die tatsächlich eine qualitativ neue, komplexe Gemeinschaft von Menschen darstellen sollte. Wir kennen das (vorläufige ) Ergebnis dieser Anstrengung und haben mit den Folgen täglich umzugehen. »Die Sprache der Dinge ist nun glücklicherweise unendlich« – dazu schrieb der Schriftsteller Max Walter Schulz:

Ein einziger solcher Satz, nachprüfbar am Werk, reicht hin, einen Großen unter den Dichtern und den Lehrern dessen, was uns gemäß ist, auszuweisen.

Den Schatz dieser Dichtung verfügbar zu halten bleibt eine wesentliche Aufgabe linker, sozialistischer Kulturpolitik. Und sie ist, wie so einiges, bisher unerledigt.

Michael Mäde, junge Welt, 5.8.2021

Lebenslauf
Porträtgalerie
Nachrufe

Horst Buder: Seine Verse galten dem Leben
Neue Zeit, 8.8.1971

Heinz Czechowski: Georg Maurer
Sonntag, Nr. 33, 1971

Jürgen Engler: Welt und Mensch
ich schreibe, 1/1971

Karl Mickel: Georg Maurer / Karl Mickel und Sarah Kirsch
Weltbühne, 33/1971

Fritz J. Raddatz: Liebe und Arbeit oder Das große Weltanschauungsgedicht
Süddeutsche Zeitung, 19.8.1971

Erhard Scherner: Dichtung mit Zukunft
Berliner Zeitung, 6.8.1971

Max Walter Schulz: Dichter und Lehrer des Wirklichen
Neues Deutschland, 6.8.1971

Wieland Herzfelde: Worte des Gedenkens für Georg Maurer
Sinn und Form, Heft 1, 1972

Gedenktage

Zum 50. Geburtstag des Autors:

Franz Fühmann: Lob des Menschen
National-Zeitung“, 12.3.1957

Zum 60. Geburtstag des Autors:

Rainer Kirsch: Georg Maurer zum 60. Geburtstag

Martin Reso: Sein Thema: Der Mensch
Berliner Zeitung, 10.3.1967

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Heinz Czechowski: Maurers Selbstbildnisse
Sinn und Form, Heft 4, Juli/August 1977

Uwe Berger: Er erhob den Alltag zur Poesie
Neues Deutschland, 12.3.1977

Horst Haase: … daß nichts verlorengeht
Sonntag“, Nr. 11, 1977

Zum 71. Geburtstag des Autors:

Rulo Melchert: Unverbesserlich in seinem Glauben an das Bessere
Junge Welt, 11.3.1978

Hanna-Heide Kraze: Der Dichter ohne Schreibtisch
Der Morgen, 15./16.4.1978

Zum 10. Todestag des Autors:

Hans Brauneis: Im poetischen Torbogen
Der Morgen, 4.8.1981

Das Buch des Lebens weiterführen
Sonntag, Nr. 31, 1981

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Dietmar Felden: Die Perspektive sind wir selbst
National-Zeitung, 11.3.1982

Klaus Hennig: Wirkliche Welt
Berliner Zeitung, 11.3.1982

Zum 15. Todestag des Autors:

Sabine Karradt: Poesie auch im Alltag
Der Morgen, 2./3.8.1986

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Ingrid Hähnel: Lob der Poesie
Wochenpost, Nr. 9/1987

Zum 85. Geburtstag des Autors:

Heinz Czechowski: „Was bleibt?“
Sinn und Form, Heft 2, März/April 1992

Zum 110. Geburtstag des Autors:

Franka Köpp: Arbeit – die große Selbstbegegnung
junge Welt, 11.3.2017

Zum 50. Todestag des Autors:

Michael Mäde: Wider den Nebel des Vergessens
junge Welt, 5.8.2021