Bürgerkrieg unter friedlichen Affen

Bürgerkrieg unter friedlichen Affen

– Eine große Ausstellung in Meran feiert den ewig jungen, hemmungslosen Neuerer Ezra Pound – drückt sich aber auch nicht um den Antisemitismus und die Faschismus-Verehrung des Dichters. –

Bei der Gedenkfeier vor sieben Jahren für den Oberjäger Franz Höfler gab die von ihm gegründete Schützenkompanie Lana Ehrensalut für den Toten, ein Kranz wurde niedergelegt, es erklang das Lied vom guten Kameraden, und der langjährige Leiter des Südtiroler Landesmuseums für Kultur- und Landesgeschichte feierte in seiner Ansprache den Schneid der Tiroler und ihre Gelassenheit: »Wir müssen», mahnte Siegfried de Rachewiltz die Versammelten, die wie er in der traditionellen bunten Uniform erschienen waren, »unsere geistigen Sensen täglich dengeln und wetzen, damit wir die nötige ›Schneid‹ für neue Visionen erlangen.« Ehe er die Feier mit »Schützenheil und Schützenschneid!« beendete, zitierte er einen Dichter:

Was du innig liebst, wird dir nicht weggerafft
Was du innig liebst, ist dein wahres Erbe.

Der Redner, der zu diesem pazifistischen Vigilantentum aufrief, nannte den Namen des Dichters nicht, verriet den Anwesenden nicht, dass er sich auf seinen Großvater berief, auf den Jahrhundertpoeten Ezra Pound. Den Schützen hätte der Name ohnehin nichts gesagt. Die Feierstunde galt schließlich einem einheimischen Freiheitskämpfer, dem Höfler Franz, der nach der Bozener Feuernacht 1961 von den Carabinieri in Haft genommen worden und Berichten zufolge so brutal gefoltert wurde, dass er seinen Verletzungen erlag.

Das ist lange her, und Südtirol lange schon autonome Provinz. Noch länger her die Zeit, als man auf der Straße auf Anweisung aus Rom nicht mehr deutsch reden durfte. In Meran am Domplatz redet heute alles vielsprachig durcheinander und schweigt erst, als ein junger Tenor vor dem Museum pavarottiert und »Funiculì Funiculà« singt, die bekannte Hymne auf die Vesuv-Seilbahn. Die Sonne scheint, weil sie, wie ein anderer Dichter gesagt hat, doch nichts Besseres zu tun hat, und sie scheint, wie es ihre Art ist, auf Gerechte und Ungerechte.

Als die sogenannten »Bumser« gegen die Zentralregierung in Rom mit Bomben auf die Strommasten vorgingen, war gerade ein anderer Terrorist in die Südtiroler Berge gekommen. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis war Ezra Pound 1958 auf die Brunnenburg gezogen, wo seine Tochter und seine Enkel lebten. Pound war kein heimattreuer Tiroler Schütze, sondern der Geburtshelfer der englischsprachigen Avantgarde. Er setzte sich für den Druck von James Joyce’ Roman Portrait des Künstlers als junger Mann ein und kürzte T.S. Eliots Großgedicht The Waste Land so drastisch, dass ihm der Dichter ewig dankbar blieb. In seiner Widmung pries Eliot seinen Lektor als il miglior fabbro, den überlegenen Kunstwerker. Ernest Hemingway, der ihn für seine redaktionelle Beratung bei der Verwendung von Adjektiven mit Boxunterricht honorierte, rühmte den unermüdlichen Windmacher, der sich aufopferungsvoll um seine Freunde kümmerte, immer wieder Geld auftrieb, immer neue Mäzene fand, meist reiche Amerikanerinnen, die bereit waren, Zeitschriften mit Auflagen im dreistelligen Bereich zu finanzieren.

Im Meraner Palais Mamming am Dom erinnert die Ausstellung Make It New an diese heroische Moderne, die vor genau hundert Jahren, mit dem Erscheinen von The Waste Land und von Joyce’ Ulysses ihren Höhepunkt erreichte und auch schon wieder zu Ende war. Es ist, als wäre der greise Dichter vom Berge herabgestiegen und wieder jung. Ganz verwandelt sieht er auf den Fotos aus, der junge zottelige Anarchist im Bunde mit Joyce, Ford Madox Ford und dem Millionär John Quinn. Im Regal hinter den Männern ein Bild von Fernand Léger, das im Original ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist.

Alvin Langdorn Coburn machte 1916 ein Vortograph von Pound, legte drei Aufnahmen übereinander, ein nicht ausdeutbarer Künstlerunternehmer. Der Vortizismus (nach dem lateinischen vortex für Sturm), in den sich Pound in London mit Wyndham Lewis stürzte, war tatsächlich ein Wirbelsturm, der nur eine Richtung kannte: Make It New, alles – Imagismus, Kubismus, Futurismus – sollte modern wie nie dagewesen sein. Pound war der beste Kopf dafür.

Henri Gaudier-Brzeska meißelte Pound als vortizistischen Kopf, ein Priestergott in fast schon pharaonischer Ausprägung, Anführer einer ganz neuen und zwar einer ausschließlich der Kunst geweihten Religion. Pound redete, schwadronierte, sang und philosophierte in mindestens sieben Sprachen, von denen er, wie Spötter bemerkten, keine einzige beherrschte, und fand es als Vermarktungsgenie nur angebracht, in einer anonymen Rezension von seinem Erstling A Lume Spento (1908) zu behaupten, die Gedichte seien »originell, einfallsreich, leidenschaftlich und spirituell«.

Ein rührendes Artefakt das blaue Kärtchen, das den Eintritt zum Blast-Dinner ermöglichte: In dieser Zeitschrift, die nur zwei Ausgaben erlebte, veröffentlichten neben Pound und Lewis Jacob Epstein, Rebecca West und Eliot. Versprochen wurde ein »Bürgerkrieg unter friedlichen Affen«. Hoffnungsvoll auch die Botschaft, dass das »Ende des christlichen Zeitalters« gekommen sei.

An dem hemmungslosen Neuerer Pound hängt allerdings ein kleines Problem, das im Begleittext zur Ausstellung auch tapfer angesprochen wird:

Während des Zweiten Weltkriegs hielt er Rundfunkansprachen, in denen er die Alliierten als die wahren Schuldigen am derzeitigen Konflikt beschuldigte und in denen es nicht an antisemitischen Tönen mangelte.

Pound, der in besten angelsächsischen Verhältnissen in Idaho und Washington aufgewachsen war, entdeckte früh seinen höchstpersönlichen Feind, und das waren für ihn die Juden. »Wir wollen nichts mehr zu tun haben mit Juden und Schiebung« verkündete er bereits 1914 in einem Gedicht in Blast.

Nie hat er abgelassen von seinem Antisemitismus, er durchdringt und verdirbt sein ganzes Werk. Die Juden hatten für Pound das Geld in die Welt gebracht und dann auch den Krieg, der für ihn eine Lebenskatastrophe gewesen sein muss. In der Ausstellung, die reich mit Leihgaben aus der Familie bestückt ist, findet sich auch einer seiner atemlos getippten Briefe. Er geht an Gaudier-Brzeska und handelt mit großzügigen Invektiven gegen Abwesende von Pounds Bemühungen, die Arbeiten seines Freundes zu vermitteln. Der Brief ist erhalten, weil er als unzustellbar an den Verfasser zurückging: der mustergültige Vortizist war bereits gefallen.

Mindestens so eingebildet wie Platon, der den Tyrannen von Sizilien belehren wollte und der ihn zum Dank als Sklaven verkaufen ließ, reiste Pound 1939 nach Washington, um einen neuen Krieg zu verhindern, doch der amerikanische Präsident Roosevelt wollte ihn nicht empfangen. Benito Mussolini war da anders, er ließ den Dichter vor, genau am 30. Januar 1933, am Tag, an dem Hindenburg den Mussolini-Schüler Hitler zum Reichskanzler erhob. Pound schenkte dem Duce seine Cantos, und der fand sie divertente, recht unterhaltsam. So wurde Mussolini für Pound zum »Boss«.

Zu spät, so versucht ihn der Enkel Siegfried de Rachewiltz, der die Ausstellung zusammen mit Carl Kraus und Rosanna Pruccoli gestaltet hat, habe Pound erkannt, »dass er die Orientierung verloren hatte und dass sein Floß an den Klippen der Geschichte zerschellen würde«. Die Klippen sind schuld, dass sich der Dichter wenn nicht zum Sklaven, so doch zum Deppen Mussolinis machte und dessen Marsch auf Rom feierte. Die vortizistische Moderne mochte so alleszermalmend auf dem Welttheater erschienen sein, doch schon überholte die Politik die Avantgarde, die Politik war es, die alles neu machte. Der Marsch auf Rom fällt mit dem annus mirabilis der Moderne zusammen, auch er fand vor genau hundert Jahren statt, woran die Holocaust-Überlebende Liliana Segre bei der Eröffnung des neugewählten italienischen Parlaments erinnerte. Es war sinnlos, in den Amtsräumen der neuen Regierung Meloni hängen bereits die ersten Mussolini-Bilder.

Seit den späten Zwanzigerjahren befand sich Pound, der von London nach Paris und dann nach Rapallo übersiedelt war, ganz im Bann des Faschismus. Die Meraner Ausstellung belegt diese Nähe ungewollt mit der Einladung zur Biennale in Venedig, die ihm sein Freund Ernesto Thayaht 1931 mit der Widmung »A Ezra Pound, con simpatia futurista« schickte. Der Künstler hatte eine metallene Skulptur Mussolinis fabriziert, die den Duce zum gesichtslosen aber dafür erzenen Rammschädel mechanisierte.

Die Klippen der Geschichte brachten Pound ins Gefängnis. Seine Radioansprachen im faschistischen Sender gingen nicht nur gegen die Juden, sondern gegen Amerika. Seine Landsleute sperrten den Hochverräter in den berüchtigten Hundezwinger in Pisa, aber weil er doch zu berühmt war, kam er um die Todesstrafe herum und wurde in Washington zwölf Jahre in ein Gefängnis für geisteskranke Kriminelle gesteckt. Als er auf Betreiben von Hemingway und Eliot 1958 ungeheilt entlassen wurde, kehrte er nach Italien zurück und begrüßte die Freunde, die ihn am Hafen erwarteten, mit hochgerecktem Arm.

Pound hat die Moderne und alle seine Freunde überlebt: Joyce war schon gestorben, als Pound in Haft genommen wurde. Hemingway brachte sich 1961 um, Eliot war längst an die High Church verloren, als er 1965 starb. Ihr Freund, Förderer, Propagandist wurde depressiv. Oskar Kokoschka zeichnete ihn 1964 als lebensunlustig und ziemlich verwirrt. Ende 1967 muss es aber noch einmal zu einer Aufwallung gekommen sein. Im Oktober ließ er zu, dass gleich zwei Filme mit ihm gedreht wurden (sie laufen im Obergeschoss auf einem Fernseher). In einem erscheint Pier Paolo Pasolini, der dem alten Mann dessen Cantos auf Italienisch vorliest und mit ihm ehrfurchtsvoll über Walt Whitman spricht.

Zur gleichen Zeit tauchte Allen Ginsberg bei Pound auf und erteilte ihm dem eigenen Vernehmen nach die Absolution. Ginsberg nahte sich dem 82jährigen als »buddhistischer Jude«, orgelte auf seiner Handleier und spielte ihm, allen Ernstes Zustimmung heischend, Songs der Beatles vor. Pound hat sich nie von seinen Radiogetobe distanziert, bekannte aber Ginsberg gegenüber, dass »mein schlimmster Fehler der dumme kleinbürgerliche Antisemitismus« gewesen sei.

Den »hieratischen« Kopf, den Gaudier-Brzeska von ihm gefertigt hatte, wünschte Pound auf seinem Grab, zu Hause in Idaho. Auf dem Weg dorthin sollte das Bildnis »jeweils für einen Monat«, in Paris, in London und in Washington ausgestellt werden.

Wenn man es vernünftig anstellt, ist damit der Transport von Brunnenburg nach Hailey finanzierbar.

Es kam dann anders, Pound wurde auf dem Protestantischen Friedhof in Venedig bestattet, im November vor fünfzig Jahren. Der Kopf ist tatsächlich in Washington angekommen und befindet sich dort in der National Gallery. Die Kunst, sie mag noch so umstürzlerisch sein, landet am Ende doch im Museum.

Was man innig liebt, wird das wahre Erbe. Auch ohne Schützenschneid ist die Tirolerisierung des großen Denglers vollendet. Der Tenor ist inzwischen bei »Nessun dorma«, und die Touristen auf dem Domplatz bestellen noch einen Cappuccino. Die Sonne, was soll sie machen, lacht dazu.

Willi Winkler, Süddeutsche Zeitung, 25.10.2022