Im Weltriss häuslich
− Zum 100. Geburtstag des Dichters Ernst Meister, der seinen Gotteszweifel in Poesie verwandelte. −
Wie aus mythischer Ferne weht dieser hohe Ton heran, diese dunkle Beschwörung metaphysischer Elementarwörter. In philosophischer Eindringlichkeit fragt der Dichter Ernst Meister nach den Verankerungen unserer Existenz. Bereits in seinem allerersten Gedicht, das 1932 sein Debütbuch Ausstellung eröffnete, gerät das lyrische Ich vor einen Abgrund aus Angst:
Im Nichts hausen die Fragen.
Im Nichts sind die Pupillen groß.
Wie viele moderne Lyriker, die in den 1930er Jahren zu schreiben begannen, ist auch die Poesie Meisters aus intensiver Heidegger-Lektüre entstanden. Der »Gedanke an Sein überhaupt« und die Reflexion über das Verhältnis von Dichten und Denken haben ihn zeitlebens nicht losgelassen. Als Student der Theologie war der am 3. September 1911 geborene Fabrikantensohn aus Hagen in eine tiefe Glaubenskrise gestürzt und hatte den Gotteszweifel in Poesie transformiert. Kaum zur Sprache gekommen, zog sich der junge Dichter wieder ins Schweigen zurück. Nach seinem Erstling hatte ihm ein Kritiker eine ästhetische Nähe zur Malerei Wassily Kandinskys bescheinigt – ein Umstand, der ihn nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Gefahr bringen konnte. Zwanzig Jahre lang schwieg der Dichter und suchte erst nach dem Krieg wieder den Kontakt mit Karl Löwith, bei dem er 1930 eine Dissertation über Nietzsche begonnen hatte.
Erst Anfang der 1960er Jahre setzte ein bescheidener Ruhm ein, als Dichterkollegen wie Nicolas Born auf die »intensive metaphysische Erregungsspur« in seinen Gedichten aufmerksam wurden. Der Autor selbst charakterisierte seine existenzialistische Poesie als eine innige Suche nach »Da-Sein«, die »im Weltriss häuslich« wird mittels Sprache. Auch in seinem Spätwerk, vor allem in den Bänden Sage vom Ganzen den Satz (1972), Zeitspalt (1976) und Wandloser Raum (1979) ist jene »Weltangst« präsent, die das Subjekt in seinen Fundamenten erschüttert. Als Conditio humana erscheint heilloses Ausgeliefertsein:
Und ich will mich
ans Gehängtsein
gewöhnen:
der Himmel
größte Öse
des Hakens, daran
der Strick mit der Schlinge,
die mich hält
in den Achseln.
Kurz vor seinem Tod am 15. Juni 1979 erreichte Meister die Nachricht, dass man ihm den Büchner-Preis zugesprochen habe. Für sein literarisches Nachleben hat lange Jahre mit Leidenschaft der Aachener Rimbaud Verlag gesorgt. Bei Wallstein ist zum 100. Geburtstag eine akribisch kommentierte Werkausgabe in fünf Bänden erschienen, die nicht nur den Ansprüchen einer historisch-kritischen Edition gerecht wird, sondern auch die Fama vom »weltfernen Hermetiker« auflöst. In Ernst Meisters Poesie, so wunderbar hat es Born gesagt, findet man »Zeichen für das Noch-Nicht-Totsein, für die Hoffnung und Behauptung, daß Leben sei, Gesang, und sei es auch ein Gesang ohne Grund.«
Michael Braun, Badische Zeitung, 3.9.2011
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Gedenktage
Zum 100. Geburtstag des Autors:
Michael Braun: Im Weltriss häuslich
Badische Zeitung, 3.9.2011
Christoph Vormweg: Der Geburtstag des deutschen Lyrikers Ernst Meister