Blauer Meckel,

Blauer Meckel,

der (Feenauge, Frauenhort, Grafittchen, Traumdrudel) einjährig, Familie der Idyllizeen. Farbmittel.

Der Stengel niederliegend, glatt und geschmeidig. Die Blätter wie Wahrsagerkarten gefächert, ungestielt. Die tiefblauen Blüten sitzen haufenweise in den Blattwinkeln und leuchten aus dem blassen Blattgrün hervor. Sie sollen auch nachts und bei Nebel zu sehen sein.

Die ganze Pflanze, vornehmlich jedoch die Wurzel, hat einen stark betäubenden, dem Baldrian ähnlichen Geruch und wird von Katzen und Buchhändlerinnen sehr geliebt. Er reizt zu grundlosen Tränen und zu unfreiwilliger Komik. Der Blaue Meckel wächst im Hintergründigen, in Anthologien, auf Kinderspielplätzen und im melancholischen Nirgendwo, vor allem jedoch im Feuchten, wo er sich nicht festlegen muß. Das Blau seiner Blüten täuscht eine Nähe der Ferne vor und hat schon manchen Wanderer irregeleitet.
Der Saft der Wurzel ist, mit Eigelb vermischt, stark violett färbend und ätzend. Des Kaisers neue Kleider wurden offensichtlich mit dieser Tinktur eingefärbt. Eine ähnliche Wirkung hat auch die Tinte, die aus dem Blauen Meckel gewonnen wird. Sie nimmt den Wörtern ihre Realität.
Versuche, die sehr empfindliche Pflanze anzubauen, sind bis jetzt nicht gelungen. Klaus Wagenbach schreibt in seiner ›Kampfschrift eines Gärtners‹: »Der Blaue Meckel verlangt viel Pflege und Liebe. Man muß ihn abseits von den anderen Pflanzen halten, sonst verkümmert er oder wächst nach unten.«

Fritz Schönborn aus Deutsche Dichterflora, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983