Elegant und amüsant
– Er reimte Wiesel auf Kiesel, trat in den lyrischen Dialog mit einem Mondkalb und sinnierte über Nachtigall und Tagtigall. Berühmt aber wurde der vor 100 Jahren gestorbene Christian Morgenstern mit den Galgenliedern. –
Hunderttausende Schüler versuchten sich schon am Aufsagen seiner Gedichte, zig Schulen tragen seinen Namen, doch erst 100 Jahre nach seinem Tod ist ein Museum zum Gedenken an Christian Morgenstern eröffnet worden. Der Lyriker starb am 31. März 1914, das Morgenstern-Literatur-Museum im brandenburgischen Werder (Havel) erinnert an seine legendären Galgenlieder, die dort entstanden.
Morgenstern kam am 6. Mai 1871 in München zur Welt. Zwar wird er im Nachhinein häufig auf seine humoristischen Fähigkeiten reduziert, doch er widmete sich wesentlich mehr Aspekten der Literatur, etwa als Übersetzer der skandinavischen Schriftsteller August Strindberg und Henrik Ibsen. Nebenbei schrieb er in Berlin für Kulturzeitschriften wie Neue deutsche Rundschau, Jugend oder Freie Bühne.
Auf den ersten Blick wirken die meisten seiner Gedichte vor allem eines: lustig. Immer wieder erscheinen kuriose Tiere und Fantasiegestalten – selbst dann, wenn Morgenstern offenbar gerade mal kein Reim einfallen mag:
Ein Wiesel
saß auf einem Kiesel
inmitten Bachgeriesel.
Wißt Ihr
weshalb
Das Mondkalb
verriet es mir
im Stillen:
Das raffinierte Tier
tat’s um des Reimes willen.
Dabei war Morgensterns Leben weniger von Komik, denn von Tragik geprägt. Eine Kindheit und Jugend überschattet von Krankheit und Tod. Er verlor seine Mutter als Zehnjähriger, von ihr erbte er ein Lungenleiden, das ihn zeitlebens zu langwierigen Kuraufenthalten zwang. In seinen Galgenliedern huldigte der Schriftsteller der Freiheit der Kinder, mit der Sprache zu spielen, Geschichten zu erfinden, eine eigene Logik zu entwickeln, die dem rationalen Denken der Erwachsenen fremd ist. Auch in diesen Geschichten geht es immer wieder um den Tod. Auch die Protagonisten Rabe Ralf und sogar das Mondschaf sterben, erwachen aber wieder zu neuem Leben. Die Galgenlieder sind pünktlich zum Todestag in einer Neuauflage erschienen.
Wer den messerscharfen Beobachter und virtuosen Sprachkünstler neu entdecken will, sollte die kleine Stadt Werder in der Nähe von Potsdam besuchen. Der Freundeskreis Bismarckhöhe hat einen literarischen Gedächtnisort geschaffen, der daran erinnert, dass Morgenstern dort häufiger mit Freunden das Restaurant Galgenberg besuchte und dort die Galgenlieder schrieb. In der Vollversion der Deutschen Digitalen Bibliothek, die am Montag präsentiert wurde, finden sich zudem Original-Erinnerungsstücke aus dem Leben Morgensterns. Mit 42 Jahren starb der legendäre Dichter, der ein Anhänger des Anthroposophen Rudolf Steiner war, in Meran an Tuberkulose.
Mau, Deutschlandfunk Kultur, 31.3.2014
Lebenslauf
Fakten und Vermutungen zum Autor + Vertonungen 1 & 2 +
Archiv 1, 2 & 3 + Internet Archive + Kalliope
Porträtgalerie
Gedenktage
Zum 100. Todestag des Autors:
Ralf Bülow: So bewies er, wie Sprache uns aufs Glatteis führt
Foucs, 4.4.2014
mau: Elegant und amüsant
Deutschlandfunk Kultur, 31.3.2014
Florian Ehrich: Spielbilder der Welt
Deutschlandfunk, 31.3.2014
Wilhelm Roth: Von Nachtigallen und Tagtigallen
evangelisch.de, 31.3.2014
Kristina Reymann: Poetische Sprachspiele
de.com, 7.4.2014
Matthias Haydn: Tief im Walde sitzt der Tod … und schnitzt an einem Segelboot
oe1.orf.at, 31.3.2014
Zum 150. Geburtstag des Autors:
Martina Scheffler: Christian Morgenstern : Münchens fast vergessener Dichter
Abendzeitung München, 6.5.2021
Janina Fleischer: Auf der Höhe der Zeichen: Christian Morgenstern zum 150.
Leipziger Volkszeitung, 6.5.2021
Klaus Walther: Der heitere Ernst
Freie Presse, 5.5.2021
Manfred Orlick: Galgenpoesie als ein Stück Weltanschauung
literaturkritik.de, 5.5.2021
Ralph Gerstenberg: Christian Morgenstern – Der Mann mit dem Gruselhumor
Hans Conrad Zander: Christian Morgenstern: leichtfüßige Lyrik und ernstes Wesen