Der Hüge

Der Hüge

Der Hüge ist ein Kranich, den man auch Grus nennt. Seinesgleichen enthält nach Gould 106 Sterne bis zur siebenten Größe. Er selbst lebt selbstverständlich auf der Erde, um die er tiefe Sorge trägt. Trotz dieser Last, die entweder ein odenhaft gezwirntes Sternenzelt oder ein sorgfältig eingeschlagenes Stück Erdenbahn sein kann, bewegt er sich leicht und zierlich, dabei mit Vorsicht, meistens ruhig und würdevoll, doch macht er auch lustige Sprünge, tanzt förmlich und nimmt die sonderbarsten Stellungen an. Er schraubt seinen Schrei, an den sich in der alten Welt mancherlei Aberglaube knüpfte, bis in eine nur noch Wolfs- oder Hundeohren empfängliche Frequenz, so daß es nicht nur Menschen sind, die angehorchs dessen verhoffen. Mittels der hoch eingelegten Hinterzehe dreht er sich kleine Kreise, die unter seinem aufmerksamen Kreuz- und Querschritt zu einem »pas de deux der Dach- und Wachsamkeit« verschmelzen. Auf den Höfen seiner Verswirtschaft hütet er das klassische Metrum wie einen zernarbten Pilgerstab und den Genitiv zuweilen wie ein ›läutendes Ei‹. (Eine Pathosgenese seiner Gesänge erbrachte, daß er schleppt, was ihn beschwingt, obgleich sein Lied nicht tragisch, sondern weise, dunkel und hellhörig ist.)

Andreas Koziol aus Bestiarium Literaricum, Druckhaus Galrev, 1991