Reale Kunst

Reale Kunst

Er liebte das Leben. Er liebte auch die Sprache, mit der lustvoll zu spielen ihn reizte. Selbst zu Österreich fiel dem 1930 im slowakischen Kosice/Kaschau als Sohn eines Arztes geborenen Andreas Okopenko rückblickend ein, dass er glücklich sei, seit seinem neunten Lebensjahr in »diesem milden Land« zu Hause zu sein.

So viel Einverständnis machte ihn zum Aussenseiter in einer Literatur, die auf die rhetorische Empörung, die sich übertrumpfende Kritik vertraute. Okopenko, der im Umfeld der Wiener Gruppe zu veröffentlichen begann, als Redaktor der neuen wege und Herausgeber der publikationen mithalf, deren Protagonisten bekannt zu machen, rechnete sich selbst ausdrücklich nicht zu den sprachexperimentellen Autoren. Überhaupt beharrte er darauf, keiner Schule anzugehören, kein Repräsentant zu sein, sondern ein Mensch und Künstler mit seinem Widerspruch. Auch mit der oft gebrauchten Floskel, er sei einer der Stillen im Land, ein bescheidener Randgänger, mochte er sich nicht recht abfinden. In seinem 1996 geschriebenen Vermächtnis, in dem er sich von solchen Charakterisierungen abwandte, heisst es:

Ich werde also dem intelligenten und lernbereiten Menschen, der mir das glaubt, von nun als wandelnder Widerspruch vorspuken. Und bin in Wirklichkeit doch ein harmonisches Ganzes. Wie meine gemischte, aber unverrührbare Welt, die ich so liebe, dass ich sehr ungern aus ihr abkratze.

Nun ist er, achtzigjährig, in Wien gestorben. Als Chemiestudent veröffentlichte Andreas Okopenko seine ersten Gedichte, und als Lyriker ist er einer kleinen Leserschaft auch zuerst bekannt geworden. In Bänden wie Warum sind die Latrinen so traurig griff er heiteren Sinnes Traditionen des Bänkelsanges, des Limericks, der Nonsens-Verse auf. In anderen Gedichten erprobte er alle möglichen Vers- und Reimformen, den Telegrammstil und das weit ausschwingende Langgedicht: So avantgardistisch diese Lyrik anmutete, Okopenko hat sich gegen den »Tempeldienst am leeren Wort» verwahrt und betont, dass sich seine Kunst immer auf die reale Welt bezog.

1970 veröffentlichte er einen Roman, der zum Klassiker wurde, das Lexikon einer sentimentalen Reise zum Exporteurstreffen in Druden, zumeist kurz Lexikonroman genannt. Von A bis Z, von »Aberdeen« bis »Zunächst aber«, breitet der Roman sein Geschehen in zahllosen Stichworten aus, die das alphabetisch geordnete Material bilden, aus dem sich die Leser ihren eigenen Roman zu basteln haben. Jedes Stichwort hat etliche Hinweise auf andere Eintragungen, so dass es viele Wege durch diesen Roman gibt, den Okopenko in der vorangestellten »Gebrauchsanweisung« als »Möglichkeitenroman« bezeichnet.

In den letzten Jahren sind viele seiner frühen Arbeiten neu aufgelegt worden, hinzu kamen die Traumberichte, mehrere Bände mit Essays zur Literatur und, vor allem, die grossartige Erinnerung an die Hoffnung. In diesen autobiografischen Aufsätzen erzählte Andreas Okopenko 2008 von der Kindheit am Fusse der Karpaten, vom wehen Glück der ersten Liebe, von der Freude, sich mit Frauen einzulassen, vom Glück des Schreibens: zum Abschied – ein Bekenntnis zum Leben.

Karl-Markus Gauss, Neue Zürcher Zeitung, 29.6.2010

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Zum 90. Geburtstag des Autors:

Daniel Wisser: Der sanfte Linke
Die Presse. 13.3.2020

Zum 10. Todestag des Autors:

Karin Ivancsics: Eine Freundin erinnert sich
Die Presse, 25.6.2020