Erinnerung an Andrea Zanzotto

Erinnerung an Andrea Zanzotto

– Der Tod von Andrea Zanzotto am 18. Oktober 2011 kam überraschend über die literarische Welt und schmerzhaft nicht nur für den, der dem Dichter bis zum Ende nahe war, sondern für jeden, der Dichtung zu schätzen weiß, die Erfahrung in ihrer ganzen Ausdrucksfülle, in ihrer irreduziblen Vielfarbigkeit darzustellen vermag. –

In Pieve di Soligo am 10. Oktober 1921 geboren und aufgewachsen, besang Zanzotto unermüdlich seine Heimat, seine eigenen Ursprünge, nach denen er kompromisslos in einem Jenseits der Sprache suchte. So war er der Dichter des Wortes auf der Grenzscheide zwischen Innovation und Tradition, zwischen Erinnerung und Schöpfung, zwischen Sinn und Un-Sinn. Schon der Auftakt 1951 mit Dietro il paessagio markiert eine »esperienza di linguaggio« (Agosti), eine Erfahrung der Sprache, die im Reichtum ihrer Kompositionsprinzipien in der italienischen Dichtung der Nachkriegszeit wohl einzigartig ist. In den folgenden Jahren gerät die Dichtung von Zanzotto – mit Elegia e altri versi (1954), Vocativo (1957) und IX Ecloghe (1962) – zunehmend in »cortocircuito«, in eine »Kurzschlussverbindung« mit der Realität (wie er 1981 in einem Aufsatz schreibt), die die Spannung zwischen Werk und Leben verschärft. Immer tiefer scheint sein Schreiben durchdrungen zu werden von Sprüngen, Brüchen und Zäsuren. Durch vielschichtige Bedeutungsverschiebungen und die totale Hinterfragung der lyrischen Form bereitet sich Zanzottos Sprache allmählich darauf vor, die klassischen Werte der Dichtung in Frage zu stellen. Zanzottos Prosaband Sull’altopiano (1964) sollte, ebenso wie später das Kurzepos Gli Sguardi i Fatti e Senhal (1969), zunächst keine große Aufmerksamkeit erfahren. Ein anderes Los hingegen ereilt die Gedichtbände La Belta (1968) und Pasque (1973), die von Pasolini, Fortini und Montale geschätzt werden. An den literarischen Debatten dieser Jahre beteiligt sich Zanzotto kritisch (wie im Falle der Distanzierung von I Novisszmi), auch macht er Bekanntschaft mit Intellektuellen ersten Ranges (mit Sereni, Gatto, Ungaretti, aber auch mit Tzara und Bloch, um nur einige Namen zu nennen). In den 70ern weitet Zanzotto seine intensive Tätigkeit als Übersetzer (vor allem von Bataille und Balzac) aus und wirkt bei der Entstehung von Fellinis Casanova mit (diese Künstlerfreundschaft zwischen Dichter und Regisseur vertiefte sich in den folgenden Jahren). Aus dieser Erfahrung heraus entstand 1976 der Gedichtband Filò, eines der komplexesten und vielstimmigsten Werke Zanzottos. 1978 schließlich gewinnt Zanzotto mit Il Galateo in bosco den Premio Viareggio. Dieser Band ist zugleich Auftakt der sogenannten »Trilogie«, die mit Fosfeni (1983) und Idioma (1986) fortgeführt wird und eine entscheidende Wegmarke auf Zanzottos Werdegang als Dichter darstellt. Denn hier sublimiert das dichterische Wort mittels einer intertextuellen Verfahrensweise von höchster Darstellungskraft und ästhetischer Wirkung seine Verbindung zur Sphäre des Figurativen und Visuellen. Von der Psychoanalyse zur Literatur, von der Philosophie zur Theologie: in Versen verdichtet die »Trilogie« gemäß jener »armonia potenziale che dura sulla corruzione di ogni suono« (Vita di un diario, 1946), jener allen Missklang überdauernden potentiellen Harmonie, ein umfassendes Wissen, das auf seine ursprüngliche Sinnquelle zurückgeführt ist: auf das Leben. Meteo läutet 1996 eine neue Phase seines dichterischen Werkes ein, die sich mit Idioma schon angekündigt hatte und die in Sovrimpressioni (2001) und Conglomerati (2009), Zanzottos letzten beiden Bänden, fortgeführt wird. Hier scheint sich die Landschaft tief in Zanzottos Schreiben einzuprägen, das in solchem Einklang mit der Natur ein »meteorologisches« (Klettke) Profil erhält. Dank seiner vis creativa, die sich innerhalb einer natürlichen Ordnung ausbildet, behauptet sich dieses Schreiben gegen die oppressive Logik eines immer auswegloseren Fortschritts.

Luca Viglialoro, Park, Heft 65, Dezember 2012 aus dem Italienischen von Sarah Scheibenberger