Der Tod des Dichters
– In der Nacht vom 2. zum 3. Januar 1967 starb in Bukarest Rumäniens bedeutendster deutschsprachiger Dichter Alfred Margul-Sperber. –
Noch in den Tagen, als Czernowitz eine rumänische Stadt war, nachdem sie 1918 die Zugehörigkeit zur österreichischen Monarchie verloren, ihr typisches Antlitz als Hauptstadt der Bukowina aber behalten hatte, war Alfred Margul-Sperber als ein Lyriker erkannt worden, dem es gegeben war, Gefühl in Wort umzuprägen, ohne dieses zur abgegriffenen Münze werden zu lassen. Er hatte etwas zu sagen und er sagte es auf die ihm eigene Weise, der Sprache verbunden und ihr im Tiefsten treu, wie er es von einem leuchtenden Vorbild – Karl Kraus – gelernt hatte.
Am 23. September 1898 war er in Storojinetz in der Bukowina zur Welt gekommen, hatte dort, in Czernowitz und zuletzt in Wien die Schulen besucht und war nach Abschluss des Hochschulstudiums über Paris nach New York gelangt, wo er zwischen 1921 und 1924 bei der New Yorker Volkszeitung journalistisch tätig war, gleichzeitig aber in Arbeiterkreisen sich jene Erfahrung erwarb, die ihn befähigte, sozialistisch zu denken und sozial zu empfinden, menschlich bis ins Innerste seines Wesens und im Geiste einer Humanitas, der eine Partei niemals Grenzen setzen konnte. Damals lernte er auch kennen, was später in einem Gedicht Niederschlag fand, das er nannte:
EIN NEGER ERRINGT DEN OLYMPIAREKORD
Der »Schwarze Panther« stand im Riesenkreis
Der Hunderttausend , deren Atem stockte;
Er sah: ein Meer, und dieses Meer war weiss,
Und fern das Ziel, das wie der Urwald lockte.
Und als der Startschuss fiel und er entsprang
Leicht wie ein Tänzer durch den Sturm der Fahnen,
Da barst es als ein Rausch in ihm, da sang
Sein Blut den fernen Todesschrei der Ahnen:
»Der Bluthund heult, sie sind dir auf der Spur,
Sie hetzen fluchend hinter dir in Haufen!
Vorwärts! Dein Leben gilt’s! Jetzt hilft dir nur,
Entlaufner schwarzer Mann, dein schnelles Laufen!«
Und da ins Ziel er einbrach aus dem Raum
Und fühlte sich im Sturm emporgetragen
Von tosendem Geschrei –. sah er den Baum,
Dran einst sein Vater hing gespenstisch ragen.
Verhältnismässig spät kam Sperbers erste Sammlung – in Zeitungen und Zeitschriften hatten immer wieder Gedichte aufhorchen lassen –, die er unter dem Titel Gleichnisse der Landschaft 1934 publizierte Hier hatte er in Strophen, deren Musik niemals die Strenge erkennen liess, mit der er sie formte, die Schönheit seiner Heimat, Bukowina über das bloss Beschreibende in jene Gültigkeit hinausgehoben, die dem Erfühlten und Erfüllten zugehört. Geheimnis und Verzicht nannte sich der 1939 erschienene Band, dessen Titel vielleicht vorausahnend in eine Zeit wies, in die der Dichter später treten sollte, als er in einem gewandelten Rumänien seine späteren Verse schrieb, die nun im Dienste des Staates als Zeuge der Zeit (1951), Ausblick und Rückschau (1955) und Mit offenen Augen (1956) publiziert wurden und Alfred Margul-Sperber den Staatspreis brachten zugleich mit Orden und Medaillen, die ihm kaum viel gesagt haben dürften.
Gross wurde Sperber als Uebersetzer rumänischer Dichtung und zwei Auswahlbände der Lyrik Tudor Arghezis und Mihai Beniucs erschienen 1961 und 1965 repräsentativ im Wiener Bergland-Verlag. Bedeutender vielleicht als diese Nachdichtungen waren die Lieder, die er aus der rumänischen Folklore schöpfte und die unverkennbar von der Sehnsucht, und der heimlichen Trauer geprägt sind:
Heimweh mein, so bang und leise,
Zieh dahin auf ferne Reise,
Und, gewiegt von Abendwinden,
Sollst du in die Heimat finden.
Dort ist mir in treuem Lieben
Nur mein Mütterlein geblieben.
Wirst du es noch lebend schauen,
Sag ihm Glück aus fremden Auen;
Ist es aber nicht am Leben,
Sollst du Klage laut erheben,
Aus den Tränen, die dir fliessen,
Werden blaue Veilchen spriessen.
Schlichte, einfache – Besserwisser werden vielleicht primitive Weisen sagen, die Sperber hier zum Tönen brachte, und wer ihn gekannt hat, wie ich, der weiss, dass auch ein Stück seines Herzens in diesem Heimweh der bäuerlichen Doina begraben liegt.
Acht Jahre hat der Dichter seine Bukarester Wohnung nicht verlassen und »über Bücher und Papier« den Blick schweifen lassen. Freunde besuchten ihn täglich, das Telephon verband ihn mit der Umwelt, einen Tag vor dem Tode hatte ihn noch Diltheys Lessing-Aufsatz beschäftigt. Als man Sperber fand, hielt er, im Lehnstuhl sitzend, ein Buch in der Hand. Auf dem Boden lagen Notizen zu dem erwähnten Aufsatz und eine Liste »Meine liebsten 35 Gedichte«.
Georg Drozdowski, Die Tat, 4.2.1967