Ich überlasse der Zukunft die Geschichte Apollinaires.
(XXXI)

Am 11. Oktober 1899

sieht sich Guillaume – der eigentlich Ausländer ist – gezwungen, sich auf der Präfektur zu melden, denn er hat beschlossen, sich eine Stellung zu suchen, um wenigstens etwas zu verdienen. Aus den stereotypen Angaben des Meldebogens erfahren wir, daß er 165 cm groß war, blond, von frischer Hautfarbe, bartlos, und beschlossen hatte, den Beruf eines Handelsangestellten zu ergreifen. Lange und vergeblich sucht er eine Stelle. Die finanziellen Verhältnisse der Familie haben sich bedeutend verschlimmert, und wie ein Schlag fällt in diese Situation die unbezahlte Schuld von Stavelot. Mme. Kostrowitzki und ihre beiden unmündigen Söhne, deren Spur man schnell entdeckt hat, werden bei Gericht in Verviers verhört und später auf Zahlung der Schuld von Stavelot geklagt, die die für ihre unmündigen Söhne bürgende Mutter sich zu bezahlen verpflichtet.

Mit dem Aufenthalt in Stavelot hat sich der belgische Dichter Robert Goffin eingehend befaßt. Er korrespondierte mit dem Sohne des Besitzers der Pension, an der nach dem zweiten Weltkriege eine Gedenktafel angebracht wurde. Der Text lautet:

Am 5. September 1899 verließ Guillaume Apollinaire dieses Haus, in dem er einen Teil seiner Jugend verlebte.

Constant der Jüngere schreibt in sehr harten Worten, die einzige Auskunft, die er geben könne, sei, daß die betreffende Person nach mindestens drei Monaten Aufenthalts sich des nachts auf Englisch empfohlen habe, ohne ihre Rechnung zu bezahlen.

Wieviel bittere Tränen es meine Mutter kostete! Bitte zu bedenken, was 100 Franken im Jahre 1899 waren!

Noch nach Jahren also leidet Apollinaire darunter, daß er den Anordnungen einer unverantwortlichen Mutter als guter Sohn gehorchte.

Wegen des Schuldbetrages selbst bestehen allerdings gewisse Unstimmigkeiten. Der Sohn des Hoteliers führt in seinem Brief an Robert Goffin 100 Franken an, André Billy sagt in der Einleitung zu einer Anthologie von Apollinaires Werken in der EditionPoètes d’aujourd’hui (Dichter von heute), Guillaume und sein Bruder wären am Abend auf Anstiften ihrer Mutter verschwunden und hätten eine unbezahlte Rechnung von 600 Franken zurückgelassen.

Die Affaire von Stavelot kehrt auch in Apollinaires Werk wieder. Er verarbeitet sie in einem Jugenddrama A la cloche de bois (Zur hölzernen Glocke), das allerdings keine Bühnenaufführung erlebte, denn das Manuskript ging verloren.

Im Jahre 1935 wurde in einen Granitblock am Wege von Stavelot nach Bernister die Aufschrift gemeißelt: »A Guillaume Apollinaire 1899«, und in diesen sechs kleine Stelen mit Versen aus Apollinaires von Stavelot inspirierten Gedichten aufgestellt.

 

Vladimír Diviš: Apollinaire. Chronik eines Dichterlebens. Deutsch von Aleš Krejča, Artia, 1966